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Abschied von Chautauqua

Titel: Abschied von Chautauqua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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wieder anhob und mit seinem pingeligen Reinigungsritual begann, und als er es tat, schlug sie so fest mit der Fliegenklatsche zu, dass sie spürte, wie der Griff sich in der Luft bog.
      Sie dachte, sie hätte ihn verfehlt, hätte gesehen, wie er im letzten Moment nach links weggeflogen sei, und während sie sich umsah, brachte sie den Griff in Ordnung und hielt die Fliegenklatsche wieder senkrecht hoch. Sie hatte nicht erwartet, ihn mit dem ersten Schlag zu erwischen, doch da lag er, im Spülbecken, auf dem Rücken und halb zerquetscht, mit einem Bein zappelnd.
      Unwillkürlich erschlug sie ihn, auf dem rostfreien Stahl blieb ein himbeerroter Fleck zurück, den sie für Blut hielt, das Jagdfieber erlosch, verwandelte sich in Ekel - vor ihm, vor sich selbst - und sie wischte den Fleck rasch mit dem Papiertuch auf, warf es dann in den Müll und ließ Wasser über die Stelle laufen. Auch an der Fliegenklatsche klebte Blut und ein abgetrenntes Bein; sie machte sie sauber und hängte sie wieder auf, wie ein Kind, das ein Geheimnis verbarg.
      Sie wandte sich den Schubladen zu, doch es machte ihr noch immer zu schaffen, sie hatte kein schlechtes Gewissen, empfand es eher als Enttäuschung oder Vergeudung, denn es entsprach nicht ihrem Wesen.
      Es war idiotisch, das wusste sie. Es war doch bloß eine Fliege.
     
     
* 14
     
    Lise duschte als Erste, damit sie noch vor dem Abendessen die Wäsche waschen konnte, ein guter Vorwand, um in der rumpelnden, flusigen Feuchtigkeit ihr Buch lesen zu können. Es war für sie ein fester Brauch geworden, ein letzter, notwendiger Ruheplatz im Ablauf der Woche. Der Waschsalon befand sich hinter dem Putt-Putt, gegenüber den Übungshütten. Er hatte einen billigen Charme, der vom Fehlen jeglicher Dekoration herrührte. Die Waschmaschinen waren entweder senfgelb oder avocadogrün, und der einzige Anhaltspunkt dafür, dass nicht 1973 war, waren die zum Verkauf stehenden Autos am schwarzen Brett.
      Zu dieser Tageszeit war der Waschsalon leer, und Lise nahm sich einen der gebrauchten Küchenstühle, die die Hintertür offen hielten, und beobachtete, wie die Besucher des Instituts im Gänsemarsch über das steinige Gelände zu ihren Autos marschierten, die irgendwo auf den nummerierten Feldern geparkt waren. Sie kamen gruppenweise, die meisten von ihnen schon älter, zur Eile getrieben von den Verkehrslotsen. Als der Wind aus der entsprechenden Richtung kam, hörte sie das Schmettern von Waldhörnern und den hellen Ton einer Oboe. Sie war müde vom Schwimmen, und Harrys neuestes Dilemma war nicht so interessant wie das Licht auf der Buchseite, das schräg über ihre Schulter fiel und die Seitenränder leicht färbte. Sie wollte das Buch zu Ende lesen, doch sie stellte fest, dass sie alles nur überflog und abzählte, wie viele Seiten es noch waren. Harry hatte die silbernen Schlüssel gefunden, alles war wunderbar, bla bla bla. Es gab nichts Wirkliches, woran sie sich halten konnte -es war zu simpel. Sie wollte Wirklichkeit, Vielschichtigkeit, nicht dieses endlose Märchen, in dem das Gute belohnt wurde. Sie wollte das Leben.
      Sie fragte sich, wie ihr Leben in einem Buch aussehen würde. Ein deprimierender Gedanke.
      Megs Leben würde ein gutes Buch abgeben, zumindest nach den Geschichten, die Ken ihr erzählt hatte - abgehauen, mit achtzehn quer durchs Land getrampt, als Cocktailkellnerin in San Francisco gearbeitet.
      In Lises Leben gab es nichts Aufregendes. Sie hatte sich in Ken verliebt und war sein Modell gewesen, doch das war schon lange her. Der Rest war genauso wie bei allen anderen. Als junges Mädchen war sie sicher gewesen, dass sie einmal etwas Besonderes sein würde, aber in dem Alter glaubten das alle; es konnte nicht jedes Mal wahr werden. Ken glaubte immer noch, er sei etwas Besonderes, trotz aller Gegenbeweise, und sie wusste, dass sie ihm das übel nahm, auch wenn es ihr nicht gefiel. Einer von ihnen musste realistisch sein.
      Beim Umblättern der Seite dachte sie, dass ihr Leben durchschnittlich war und sie sich nicht dafür zu schämen brauchte. Die Welt war nicht so märchenhaft, wie die Leute gern glaubten. Deshalb lasen sie Bücher, um ihr zu entfliehen.
      Sie kontrollierte ihre Waschmaschinen. Die dunklen Sachen waren fertig, und als sie sie in den Trockner gesteckt hatte, waren auch die weißen fertig. Sie fand nicht mehr in das Buch hinein, hob den Kopf und massierte sich mit der Hand den Nacken. Sie überlegte, ob sie das Buch wie

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