Abschied von Chautauqua
fragen.»
«Tu das. Und sag ihr, dass es nichts mit ihr zu tun hat. Er mag sie schon immer.»
«Vielleicht spielt das sogar eine Rolle.»
«Könnte sein», sagte Lise.
Sie sammelte ihre Zahnbürsten ein und warf Kens Rasierer weg. Dann sah sie nochmal im Medizinschränkchen und in der Duschkabine nach und durchsuchte alles gründlich. Das Bad war fertig. Sie hatte schon die Kommodenschubladen durchgesehen und unter den Betten nachgeschaut. An der Garderobe hing nichts, auf dem niedrigen Schrank lag auch nichts, der handgefertigte Aschenbecher blieb stehen. Wenn noch irgendetwas von ihnen da war, dann unten.
Ken kam schwitzend herauf.
«Hab die Zederntruhe gerade so reingekriegt. Wie läuft's hier oben?»
«Hier ist alles fertig», berichtete Lise. «Wir hatten gerade mit Sam eine Unterredung wegen Sarahs Armbanduhr.»
«Und was hat er gesagt?» Ken klang hoffnungsvoll, als wäre alles erledigt und das Problem wie durch ein Wunder gelöst.
«Was meinst du wohl, was er gesagt hat? Ich will dir eins sagen, das wird eine lange Heimfahrt.»
* 4
Justin war mit Tigger schon im Bus und lag, unter Sarahs Schlafsack vergraben, flach auf dem Rücksitz ausgestreckt. Tante Arlene streckte den Kopf durchs Fenster und gab ihm einen Kuss. Tante Margaret redete noch mit Grandma, die Schlüssel in der Hand. Die Türen standen offen, und Sarahs Rucksack lag auf ihrem Sitz. Ella wartete, bis Sarah ihren Vater umarmt hatte, dann drehte Sarah sich um, breitete die Arme aus und umschlang Ella, wie sie es sich erträumt hatte, ihr Haar lieblich duftend. Ella musste vorsichtig sein.
«Du wirst mir fehlen», sagte Sarah.
Ella war so überrascht, dass sie bloß sagen konnte: «Du mir auch.»
«Schreib mir», bat Sarah, «okay?»
Ella versprach es und hielt kurz ihre Hand, bevor sie wieder losließ. Sarah stieg ein und schloss die Tür. Sie hatte sich Ella als Letzte aufgespart. Sie konnte ihr Fenster erst runterlassen, als Tante Margaret den Wagen anließ, und beim Zurücksetzen winkte sie und verabschiedete sich. Ella ging bis zum Straßenrand neben ihr her.
«Bis bald, Just», rief sie, aber er spielte schon mit seinem Game Boy.
«Bis Weihnachten», rief Tante Arlene.
«Fahr vorsichtig», rief ihr Vater.
Der Bus fuhr los, und Tante Margaret hupte nochmal.
«Auf Wiedersehen, ihr Lieben!»
Als sie noch klein waren, waren Ella und Sam immer auf ihren Fahrrädern hinter Tante Margarets Kombi hergejagt, und Sarah und Justin hatten sie durch die Heckscheibe angeschaut. Jetzt standen alle auf dem Rasen, beobachteten, wie sie wegfuhren, und während der Bus an den anderen Einfahrten vorbeirollte, glitten Schatten drüber. Ellas Blick ruhte auf Sarahs Arm, der immer noch winkte, als hätte sie vielleicht eine letzte, geheime Botschaft für sie. Der Bus erreichte das Fleckchen Sonne beim Haus der Nevilles, und sie konnten nur noch seine Rückseite sehen, die sich langsam entfernte.
«Da fahren sie hin», sagte Grandma, dann war die Straße leer, nichts als die Bäume und die anderen Häuser, und alle gingen zur Veranda zurück.
«Okay», sagte ihr Vater, «Zeit, die Pferde zu satteln. Jetzt wäre der richtige Augenblick, auf die Toilette zu gehen, falls ihr das noch nicht getan habt.»
Sie benutzte es als Vorwand, um nach oben zu gehen und von den anderen wegzukommen. Sie würde den ganzen Tag mit ihnen im Auto sitzen. Es war ihr ziemlich egal. Beim Treppensteigen fühlte sie sich müde, als könnte sie jeden Moment einschlafen.
Der Ventilator war aus, und die Luft war heiß. Die Betten waren abgezogen, am Fußende lagen bloß die silbrig blauen Matratzen und die zusammengefalteten rosa Decken. In den Vierecken aus Sonnenlicht, das durchs hintere Fenster fiel, sah man, wie der Staub über dem Teppich schwebte. Der Karton mit den Spielsachen war verschwunden. Das Einzige, was sie hier noch an Sarah erinnerte, war die Frisierkommode, die sie sich geteilt hatten. Ella ließ ihre Hand drübergleiten, aber es war bloß Farbe und Holz. Sie ging zu der Stelle, wo sie nachts geschlafen hatten, setzte sich hin, ließ die Finger durch die losen Fäden des Teppichs gleiten und strich ihn dann wieder glatt. Sie dachte daran, dass Sarah im Bus saß und sich von ihr entfernte, und sie betrachtete den Ring, den Grandma ihnen geschenkt hatte und der sie zu Zwillingsschwestern machte. Sie drehte ihn am Finger, wünschte, es wäre ein
Weitere Kostenlose Bücher