Abschied von der Küchenpsychologie
verwandeln – diese Vorstellung ist, wie dargelegt, so nicht haltbar. Zugleich trifft es aber zu, dass es bei einem Teil der Jugendlichen gravierende Probleme gibt.
Bei einer Minderheit findet man Beeinträchtigungen des Selbstwertgefühls, insgesamt eher bei Mädchen als bei Jungen. Eine Minderheit der Jugendlichen fällt auch durch problematisches Sozialverhalten auf. Einige werden in schwerwiegender Weise gewalttätig, einige opponieren beständig gegen Anweisungen und Anforderungen, einige trinken Alkohol bis zum Exzess, nehmen Drogen und Medikamente, und manche begehen Suizid oder Suizidversuche. Diese Minderheit prägt allzu leicht das Klischee von «der» Jugend.
Aber bei dieser Minderheit gab es meist schon in der Kindheit Anzeichen für emotionale Störungen und Erziehungsschwierigkeiten – nur dass diese jetzt viel auffälliger und konfliktreicher zutage treten. Statt mit einer vorübergehenden Entwicklungsphase können die Probleme also mit der
Persönlichkeit
des Jugendlichen zu tun haben, z.B. mit emotionaler Labilität, mit depressiven Neigungen, mit mangelnder Selbstkontrolle oder Aggressivität. Sie werden daher wahrscheinlich auch nicht einfach abklingen, wenn die Jugendzeit vorbei ist.
Gewaltausübung ist ein gut untersuchtes Beispiel für die Verwechslung eines Personproblems mit einem Jugendphase-Problem. Forschungen belegen, dass man zwei ganz verschiedene Sachverhalte auseinanderhalten muss: Da ist einerseits die große Mehrheit, die in der Jugendzeit allenfalls leichte Formen der Gewalt oder Delinquenz zeigt (z.B. Ladendiebstähle). Dies hat vermutlich mit Abenteuerlust oder Statussymbolen zu tun, es kommt nur gelegentlich vor und hört bald wieder auf. Andererseits gibt es eine Minderheit von Jugendlichen mit deutlich antisozialen Tendenzen. Es mag zwar sein, dass sie erst im Jugendalter öffentlich auffallen, weil ihre Taten jetzt viel spektakulärer sind als im Kindesalter, etwa durch Waffengebrauch und Bandenbildung. Tatsächlich waren die Jugendlichen aber bereits im Kindesalter hochaggressiv, und viele von ihnen haben leider eine lange, manchmal lebenslange kriminelle «Karriere» vor sich.
Darüber hinaus – und verflochten mit der Persönlichkeit – kann es Probleme in den
interpersonalen Beziehungen
geben. Da ist zuallererst an die
Familie
zu denken, vor allem an die Eltern-Kind-Beziehung. Jugendliche mit emotionalen Problemen und/oder antisozialem Verhalten kommen häufig aus Familienverhältnissen mit Ehekriegen, aggressiven Vorbildern und einem problematischen Erziehungsstil. Ungünstig ist eine vernachlässigende Erziehung ohne Zuwendung und ohne Regeln, ebenso aber auch ein autoritärer Stil mit emotionaler Kühle und ausgeprägter Fremdbestimmung (Näheres s.S. 332 ). Neben den familiären können natürlich auch
außerfamiliäre
Beziehungen des Jugendlichen Probleme bereiten. Zu denken ist etwa an problematische Freundschaften, an antisoziale Cliquen oder an vereinnahmende weltanschauliche Gruppen.
Außer mit der Person des Jugendlichen oder seinen Beziehungen können die Auffälligkeiten natürlich auch mit den zu bewältigenden
Situationen
zu tun haben, z.B. mit schulischen Anforderungen, die als Überforderung erlebt werden, oder mit der Schwierigkeit, eine geeignete Ausbildung zu finden.
Alle diese Faktoren wirken gewöhnlich nicht unabhängig voneinander, sondern spielen zusammen. So sucht sich ein Jugendlicher mit delinquenten Neigungen eine «passende» Clique. Dass er dies tut, liegt aber häufig auch am Familienklima und dem elterlichen Vorbild. Ebenso können bei einer Überforderung in der Schule allzu hohe elterliche Erwartungen der Hintergrund sein.
Fazit: Problematisches Verhalten von Jugendlichen sollte man nicht vorschnell auf das Jugendalter zurückführen. Denn wer massive emotionale Probleme und Eltern-Kind-Konflikte für eine unvermeidliche, aber vorübergehende Episode hält, übersieht möglicherweise psychische Störungen beim Jugendlichen, Probleme in der Familie oder schwierige Anforderungen, und Erziehende könnten es versäumen, das eigene Verhalten rechtzeitig zu korrigieren oder professionelle Hilfe zu suchen.
8. Weitere personbezogene Themen
In diesem Kapitel geht es um ein kognitives Personmerkmal, nämlich die Intelligenz, sowie drei emotionale Aspekte: Stress, Angst und Glücklichsein. Auch Testdiagnostik sowie Psychotherapie kommen zur Sprache, da sie der Erfassung bzw. der Veränderung von Personmerkmalen dienen. Erörtert
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