Abschied von der Küchenpsychologie
Angststörungen
Eigentlich ist Angst etwas Gutes: ein Warnsignal, das Menschen wie Tiere veranlasst, gefährliche Situationen zu meiden. Doch sie wird zum Problem, wenn Gefahr und Gefühl nicht mehr zusammenpassen, wenn selbst kleine und harmlose Anlässe große Angst hervorrufen. Dies ist das Problem von «ängstlichen» Menschen, und, noch extremer, von Menschen mit Angststörungen.
Angst hat viele Facetten. Zunächst einmal ist sie ein
Gefühl
, und zwar ein Gefühl der Bedrohung, verbunden mit Unruhe, Nervosität, Unsicherheit und Anspannung. Begleitet wird Angst oft auch von
körperlichen
Symptomen wie erhöhtem Herzschlag, heftiger Atmung, Schwitzen, unruhigen Bewegungen, einem «flauen Magen», Weinen und Zittern. Weiterhin zeigt sie sich in vielfältigen Ve
rhaltensweisen
, darunter solchen, die der Schutzsuche dienen (sich von der Gefahr fernhalten, weglaufen, sich anklammern usw.), oder solchen, die der Selbstberuhigung dienen (langsames Ausatmen, Einnahme von Tabletten usw.).
Nicht vergessen darf man die
kognitive
Seite: die
Besorgnis
. Die Gedanken sind beherrscht von Situations- und Selbstbewertungen: «Das ist bedrohlich» und: «Ich kann nichts tun». Diese beiden Aspekte von Angst kennen wir schon aus dem Stressmodell von Richard Lazarus (s.S. 160 ). Zwischen den Phänomenen Stress und Angst gibt es ja deutliche Überschneidungen. Doch Stressempfinden bezieht sich eher auf Anforderungen, Angst auf Gefahren.
Angst ist aber nicht gleich Angst, und nicht alle eben genannten Kennzeichen müssen in jedem Fall auftreten. Häufiger erwähnt wird eine Unterscheidung zwischen Angst und Furcht, nach der sich Furcht auf umgrenzte, benennbare Bedrohungen bezieht und Angst als eher diffuse Lebensangst verstanden wird. Dieser Sprachgebrauch hat sich allerdings nicht wirklich durchgesetzt; man müsste sonst z.B. von Prüfungsfurcht statt von Prüfungsangst sprechen, da hier ja klar ist, worauf sich die Angst bezieht. Die wichtigere und viel interessantere Unterscheidung betrifft den Inhalt der Angst:
Wovor haben Menschen Angst?
Die meisten Ängste lassen sich einem von zwei umfassenden Typen zuordnen:
Angst vor physischer Bedrohung
Angst vor Selbstwertbedrohung
Bei der
Angst vor physischer Bedrohung
geht es um Gefahren für Leib und Leben einschließlich der Angst vor Schmerzen. Beispiele sind die Angst vor Gewalt, Angst vor Tieren, Höhenangst, Angst vorm Zahnarzt oder Angst vor Krankheiten, darunter Angst vor plötzlichem Herzstillstand.
Die
Angst vor Selbstwertbedrohung
tritt in Bewährungssituationen auf, in denen man von anderen Personen bewertet wird oder werden könnte. Ängste dieser Art sind für die meisten Menschen wohl ein größeres Problem als die Angst vor physischen Bedrohungen, obwohl sie sich meist nicht so dramatisch äußern.
Zum einen ist hier an
soziale Ängste
zu denken. Dazu gehören Verlegenheit, Scham und ähnliche Gefühle, und wer dazu neigt, gilt als schüchtern. Konkrete Erscheinungsformen sind unter anderem die Angst, in einer Gruppe das Wort zu ergreifen, die Angst vor Autoritäten oder Unbehagen bei geselligen Anlässen. Es sind Ängste in Situationen, in denen man besorgt ist, dass man durch «falsches» Verhalten einen «schlechten» Eindruck machen könnte.
Zum anderen ist die
Leistungsangst
eine Angst vor Selbstwertbedrohung. Sie entsteht in Situationen, in denen man zeigen soll, was man kann. Beispiele sind die Prüfungsangst in Schule und Ausbildung und das Lampenfieber von Künstlern vor einem öffentlichen Auftritt. Prüfungsangst zeigt sich nicht nur bei einzelnen «großen» Prüfungen, sondern auch bei vergleichsweise kleinen Anlässen wie z.B. bei einer Klassenarbeit, beim Halten eines Referates oder beim Vorrechnen an der Tafel. Im Grunde ist die Leistungsangst eine Variante sozialer Angst, sofern die Leistung im sozialen Kontext zu erbringen ist (wie meistens). Denn es kommt ja darauf an, wie man vor anderen Menschen dasteht, man hat also Angst vor ihren Bewertungen.
Besonders für solche Ängste bietet das Modell mit den Komponenten Situationsbewertung und Selbstbewertung eine nützliche Erklärung – und zugleich zwei kognitive Zugänge zur Angstverminderung. Beispiel Prüfung: Erkundigt man sich und erfährt von anderen Prüflingen, dass der Prüfer freundlich ist und an Schwachstellen nicht lange nachbohrt, so entschärft das die Situationsbewertung. Weiß man überdies, wie man sich gut vorbereiten und was man sagen kann, falls man mit einer Frage
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