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Abschied von Eden

Titel: Abschied von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Faye Kellerman
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Kriegserfahrungen zu tun hat, denn warum sollten Sie dieses Thema sonst überhaupt ansprechen?«
    Decker schwieg.
    Der Rosch-Jesehiwa nahm eine Flasche Whiskey und zwei Gläser aus seinem Schreibtisch. Er goß sich selbst einen kräftigen Schluck und Decker einen etwas kleineren ein. »Wollen Sie es mir erzählen?«
    Decker hielt das Glas in der Hand und ließ den Whiskey kreisen. »Es ist schwer.«
    »Lassen Sie mich raten.« Schulman kippte den Whiskey hinunter. »Sie haben jemanden getötet. Sie haben vermutlich mehr als einen getötet, aber eine Person ist Ihnen besonders im Gedächtnis haftengeblieben. Ihnen ist sicher aufgefallen, daß ich von ›töten‹ und nicht ›ermorden‹ gesprochen habe. In einer Kriegssituation, Akiva, können Sie sich nicht als Mörder betrachten … es sei denn, Sie haben unnötig getötet.«
    »Das hab’ ich damals nicht geglaubt«, sagte Decker. »Ich schwöre …«
    »Kein Schewua, bitte«, sagte der alte Mann. »Schwören ist eine ernste Sache.«
    »Ich habe wirklich geglaubt, daß dieses Mädchen – sie war erst sechzehn – zum Feind gehörte. Ich habe sie aus kürzester Distanz erschossen. Sie … ist explodiert, und ich hab’ alles abgekriegt. Ihr Blut war noch warm … Gott, es war furchtbar.«
    »Setzen Sie sich«, sagte Schulman mit Nachdruck. Decker gehorchte. Dann sagte der alte Mann: »Haben Sie dieses Mädchen vergewaltigt, bevor …«
    »Um Gottes willen, nein!«
    »War ja nur eine Frage«, sagte der alte Mann. »Sie würden sich wundern, was für Beichten in diesem Büro schon stattgefunden haben.«
    »Ich hab’ gedacht, Juden beichten nicht.«
    »Zu Gott beichten wir jeden Tag«, sagte der Rabbi. »Einem anderen Menschen zu beichten, ist zwar in unserer Religion nicht vorgesehen, aber inoffiziell haben meine Bochrim mir schon viele Dinge erzählt. Glauben Sie mir, Sie sind nicht der erste junge Mann, der mir seine dunkelsten Geheimnisse erzählt.«
    Er goß sich einen weiteren kräftigen Schluck ein und drängte Decker zu trinken. »Da dies hier keine Beichte im katholischen Sinne ist, wo sich ein Gemeindemitglied seine Sünden von der Seele redet und ein Priester zuhört und im Namen Gottes vergibt, werde ich Ihnen jetzt eine von meinen Kriegsgeschichten erzählen.«
    »Bitte«, sagte Decker.
    »Sie wissen, daß ich in einem Lager war, nu?«
    Decker nickte.
    »Ich bin auf sehr merkwürdige Weise entkommen. Nur Gott kann das Schicksal zu einer solchen Rettung veranlaßt haben. Ich war damals zwar noch jung, aber ich bekam eine sehr schwere Lungenentzündung. Nutzte den Nazis nicht mehr. Die Deutschen karrten eine ganze Wagenladung von uns in den Wald, um uns zu erschießen. Warum da draußen, weiß ich nicht. Um Auschwitz herum stapelten sich die Leichen bereits, vielleicht hatten sie ja keinen Platz mehr.«
    Decker zuckte zusammen, aber Schulman blieb ganz ruhig.
    »Also karrten sie uns meilenweit hinaus«, fuhr der alte Mann fort. »Tief in den Wald, bis wir an eine Lichtung kamen. Wir mußten uns ausziehen, dann befahlen sie uns, wir sollten uns vor einer Reihe Bäume aufstellen. Eichen. Daran kann ich mich merkwürdigerweise erinnern – an die Blätter und die Rinde … Jedenfalls befahlen die Nazis uns, wir sollten auf die Knie gehen, mit geradem Rücken, die Hände hinter dem Kopf – die typische Exekutionshaltung. Sie hatten Hunde dabei, falls einer von uns auf die Idee kommen sollte, wegzulaufen. Das war’s, dachte ich und betete das Schema.
    Als wir uns jedoch zum Erschießen aufstellten, bin ich hinter einen Baum gehumpelt und hab’ versucht, mich zu verstecken. Ich hätte jeden Augenblick entdeckt werden müssen – der Baumstamm war schmal und bot nur wenig Schutz –, da wurde ich plötzlich – puff – vom Erdboden verschluckt.«
    Decker starrte ihn an.
    »Einfach so!« Schulman schnipste mit den Fingern. »Ich bin senkrecht nach unten gesaust. Ich hab’ mir später überlegt, daß ich in irgendeine Tierfalle getreten sein muß. Niemand bemerkte meine Abwesenheit, denn wer zählte schon tote Juden? Ein Haufen Blätter und Mulch bedeckten meinen Kopf.«
    Schulman hielt einen Augenblick inne und runzelte nachdenklich die Stirn.
    »Ich hab’ alles gehört. Die Schreie, das Stöhnen, die Schüsse. Plop, plop, plop. Einer nach dem anderen. Ich zitterte die ganze Zeit und dachte, daß man mich jeden Augenblick entdecken würde. Ich hatte furchtbare Angst, daß ich niesen oder husten müßte. Aber ich blieb unbemerkt.«
    »Ein Wunder«, sagte

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