Abschiedskuss
Ich muss lachen, als mir bewusst wird, wie absurd das wirkt. Tja, jetzt ist es also so weit, denke ich nüchtern. Jetzt bin ich wirklich verrückt.
Er ist barfuß, und seine Zehen sind unnatürlich braun. Auf jedem Zeh wächst ein blondes Haarbüschel. Das sieht hässlich aus, finde ich und bemerke mit objektiver Faszination, wie deutlich ich die Dinge im Augenblick wahrnehme. Vielleicht liegt das an meinem Kater, aber ich habe den Eindruck, alles genau zu sehen.
Rupert wirkt beinahe erschrocken, und mir wird klar, dass ich im Augenblick nicht gerade die Attraktivste bin. Ich schaue in die Diele hinter ihm. All die Weinflaschen in den Tüten, die schmutzigen Stiefel.
Die schmutzigen Stiefel.
Die schmutzigen Stiefel, die Rupert gehören und die dieselben dicken Sohlen, dasselbe Muster haben wie die Spuren in unserem Zimmer, die schmutzigen Spuren in unseren Betten, Rupert. Verdammter Rupert.
»Du bist wirklich ein komischer Bursche«, sage ich mit schneidender Stimme und trete einen Schritt auf ihn zu. Es bereitet mir Genugtuung, ihn schwankend in die Diele zurückweichen zu sehen. Ich werfe erneut einen Blick auf seine Stiefel. Es ist nur eine Eingebung, aber was soll’s.
»Wirklich ausgesprochen nett«, fahre ich fort, »die wohlerzogenen Kumpels mitzunehmen, damit sie den Portier ablenken, während du das Zimmer deiner Freundin aufbrichst, um es zu verwüsten. Findet man das in deinen Kreisen lustig oder war es Rache?«
Rupert schweigt, aber ich sehe, dass er unter seiner Sonnenbräune bleich geworden ist. Seine Augen sind geweitet und verängstigt. Ich habe ins Schwarze getroffen.
»Also Rache. Okay«, sage ich. »Weil sie menschlich ist und sich für andere Typen interessiert? Die ein bisschen mehr Grips haben … und vielleicht auch mehr zwischen den Beinen?«
Rupert weicht zurück, und ich merke, wie er sich am liebsten beide Hände zum Schutz vor den Schritt halten würde, aus Angst, ich könnte ihn dort packen.
»Ich … entschuldige. Sie war meiner plötzlich überdrüssig. Ich habe es einfach nicht ertragen. Ich war geradezu krank und vollkommen verrückt nach ihr, verstehst du? Noch nie hat mich jemand in dieser Form abgewiesen. Noch nie!«
»Das ist noch lange kein Grund, so mit ihr umzuspringen, verdammt noch mal. Was bildest du dir eigentlich ein?«, fauche ich.
»Ich weiß, es war irrsinnig blöd von mir. Es tut mir echt leid um das versaute Zimmer, aber ich kann euch entschädigen«, stammelt er.
»Du meinst wohl, deine Eltern können uns entschädigen. Vielleicht, was den Sachschaden betrifft. Aber ihre Bilder kannst du ihr nie ersetzen, du Schwein«, sage ich und deute eine Geste an, als wollte ich eine lästige Fliege verscheuchen. Ehe Rupert noch etwas erwidern kann, bin ich an ihm vorbei und eile die enge, dunkle Treppe hinauf.
Als ich vor der Tür stehe, von der ich annehme, dass sie in Jacks Schlafzimmer führt, spüre ich plötzlich einen metallischen Geschmack auf der Zunge. Ich habe mir wieder die Innenseiten meiner Wangen zerbissen.
»Jack, ich muss mit dir sprechen«, sage ich und reiße die Tür auf, ohne eine Antwort abzuwarten.
Erst als ich in seinem Zimmer stehe, wird mir klar, dass das vermutlich keine gute Idee war. Jack liegt in seinem Bett, die Decke bis zu den Achseln hochgezogen. Er macht Anstalten, sich zu erheben, und ich sehe einen Anflug von Entsetzen in seinen markanten Gesichtszügen. Auch Wut. Und Erstaunen.
Als er mich erkennt, scheint sich seine Wut noch zu steigern. Aber ich sehe auch etwas anderes. Scham? Seine langen, dunklen Wimpern sind verklebt, und ich bilde mir ein, Flecken auf dem Kissenbezug zu erkennen. Er hat doch wohl nicht geweint? Jacks Lippen sind voll und etwas rissig, und plötzlich fällt es mir schwer, an etwas anderes zu denken als an Arabella Chesterfields üppigen roten Mund, der sich wie ein Neunauge an seinem festsaugt.
»Darf ich reinkommen?«, frage ich dumpf.
»Du bist schon drin.«
»Kann ich vielleicht einen Augenblick bleiben?«
Jack nickt mürrisch. Ich trete ans Bett und setze mich auf die Kante. Die Decke gleitet zur Seite. Sein Oberkörper ist nackt. Das scheint ihn nicht weiter zu kümmern, und er hat offenbar nicht die Absicht, sich etwas anzuziehen.
Wag es jetzt einfach.
Wag es jetzt einfach.
Ich beuge mich vor und umarme ihn.
»Gegen den Schock«, murmele ich. Er ist breit und steif und erwidert meine Umarmung nicht, aber er lässt es zu, dass ich ihn festhalte. Nach einer Weile entspannt er sich etwas in
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