Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abschlussfahrt

Abschlussfahrt

Titel: Abschlussfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Till
Vom Netzwerk:
sein. Ist das Tanja? Sie müsste sich nur mal kurz zur Seite drehen, dann wüsste ich es sofort. Ihr Profil in Brusthöhe ist nämlich unverkennbar. Riesenvorbau, echt der Wahnsinn. Auch wenn ich eigentlich nicht auf große Dinger stehe, die von Tanja sind schon sehr beeindruckend, rein optisch gesehen. Aber ist das jetzt wirklich Tanja, oder nicht? Sie schließt mit dem Rücken zu uns die Tür. Marlon gibt uns breit grinsend ein Zeichen, leise zu sein. Die nackten Füße der vermeintlichen Tanja patschen über die Fliesen. Marlon schleicht gekonnt hinterher, er ist jetzt direkt hinter ihr. Sie will gerade nach links in den nächsten Gang abbiegen, als Marlon brüllt, so laut er nur kann: »Hände hoch!«
    Ein Schreckensschrei hallt durch den Gang. Sie lässt den Kulturbeutel fallen, reißt die Arme in die Luft und dreht sich um. Das Handtuch rutscht herunter und landet auf dem Boden. Ja, das ist Tanja, ganz eindeutig. Marlon bricht vor Lachen fast zusammen. Wir würden wahrscheinlich ebenfalls lachen, sind aber angesichts des dargebotenen Naturschauspiels schlicht und einfach sprachlos.
    Als Tanja begreift, dass und von wem sie gerade verarscht wurde, sammelt sie sich selbst sehr schnell und das Handtuch in Sekundenbruchteilen vom Boden auf. Der Vorhang schließt sich, das Schauspiel ist zu Ende.
    »Marlon, du bist so ein Arschloch!«, schreit Tanja und fängt an nach Marlon zu treten.
    Marlon lacht einfach weiter.
    »Und ihr glotzt nicht so doof!« Jetzt geht sie auch auf uns los. »Ihr seid doch echt nicht mehr ganz sauber!«
    »Stimmt!«, lacht Marlon. »Kannst mich ja mit unter die Dusche nehmen? Es gibt da gewisse Körperteile, die dringend mal ordentlich geschrubbt werden müssen!«
    »Das könnte dir so passen, perverse Sau!«, brüllt sie ihn an. »Eher gehe ich mit einer Horde Zombies duschen!«
    Sie tritt und schlägt weiter wütend und wahllos nach uns.
    »Rückzug, Männer!«, brüllt Marlon, der gerade am Kopf getroffen wurde. »Die Besichtigung der Frauenzimmer wird verschoben!«
    Eine halbe Stunde später sitzen alle zusammen im Speisesaal. Es gibt ein ganz normales Frühstück – Brötchen, Marmelade, Wurst, Tee, Kaffee. Als alle fertig sind, erhebt sich Wuttke von seinem Stuhl.
    »Alle mal herhören!«, ruft er. »Nach dem Abwaschen treffen wir uns um Punkt zwölf abmarschbereit im Hof.«
    »Wo marschieren wir denn hin?«, fragt Marlon mich leise.
    »Rundgang durch Lucca«, seufze ich.
    »Wie, zu Fuß?«
    »Sonst würde es ja wohl kaum Rundgang heißen.«
    »Na, super.«

3
    Ich bewege mich heute keinen Meter mehr, meine Füße tun höllisch weh von der ganzen Latscherei. Dem Rest geht es nicht anders, wir liegen allesamt schlaff auf unseren Betten.
    Rundgang durch Lucca. Über vier Stunden. Und sechsundzwanzig Kirchen. Zumindest kam es mir so vor. Mann, war das langweilig. Wuttke hat zu jeder Gotteshütte einen Vortrag gehalten. Draußen und drinnen. Und merken sollten wir uns auch noch alles, weil es im Laufe der Woche eine Schnitzeljagd durch Lucca geben wird. Was der Gewinner wohl kriegt? Lebenslang freien Eintritt in sämtliche Kirchen Italiens? Okay, zugegeben, wir haben nicht nur Kirchen angeguckt. Es waren auch ein paar Museen dabei. Und Stadtmauern. Und irgendwelche Häuser. Die waren ebenfalls alt und hatten Geschichte. Was wir allerdings vergeblich gesucht haben, war ein Supermarkt. Oder irgendeinen Laden, in dem man Alkohol in Flaschen kaufen kann. Entweder es gibt nichts Hochprozentiges in Lucca, oder die haben ihre Läden verdammt gut getarnt. Jedenfalls sitzen wir heute Abend auf dem Trockenen und das ist ganz schön ätzend.
    »Und?«, frage ich in den Raum. »Was geht jetzt noch?«
    »Oben ist ein Fernsehraum«, sagt Diego.
    »Toll«, brummt Marlon. »Ich guck mir doch kein italienisches Fernsehen an.«
    »Nee, die haben auch deutsche Sender«, erwidert Diego. »Vorhin lief RTL .«
    »Ja, super«, brumme ich. »Genau deswegen sind wir hierhergefahren. Um RTL zu gucken. Da hätte ich auch zu Hause bleiben können.«
    »Dann mach halt einen besseren Vorschlag«, motzt Diego.
    »Wie wär’s mit Würfeln?«, schlage ich vor.
    »Ohne Alk?«, antwortet Marlon. »Ist doch öde.«
    Wir schweigen eine ganze Weile die Decke an, bis uns ein Geräusch von draußen aufhorchen lässt. Stimmengewirr. Stühle rücken. Musik. Was ist denn da los? Ich werfe einen Blick aus dem Fenster direkt neben meinem Bett. Ich sehe Mädchen. Viele Mädchen. Französische Mädchen, der Musik nach zu urteilen.

Weitere Kostenlose Bücher