Absolut WILD 3
und seufzte. »Ich muss in fünf Minuten auf der anderen Seite des Parks sein. Und da geht es bergauf.«
5
Ivana Bär
Am Freitagnachmittag konnten wir nicht schnell genug nach Hause kommen.
»Sind die Bärin und ihre Jungen da?«, japste ich, als ich dicht gefolgt von Tori zur Tür hereinstürzte.
Es war merkwürdig, Mama ohne Opi auf dem Arm zu sehen. Sie stand mit einer Tasse Kaffee in der Hand am Spülbecken und sah irgendwie klein und ein bisschen einsam aus. Hasi saß auf ihren Füßen, um auf sich aufmerksam zu machen. Sie bellte zur Begrüßung und erhob sich schwanzwedelnd von Mamas Schuhen.
»Ja, sie sind da«, antwortete Mama.
»Können wir sie sehen?«, fragte ich.
Mama schüttelte den Kopf. »Wir müssen sie in Ruhe lassen, bis die Mutter richtig wach ist. Ruhe und Ungestörtheit sind in der Anfangszeit sehr wichtig.«
»Wir könnten sie uns doch durch das Beobachtungsfenster angucken«, sagte Tori.
»Wir sind auch ganz leise«, versprach ich.
»Vielleicht dürft ihr morgen früh einen kurzen Blick auf sie werfen«, sagte Mama.
Ihre Stimme klang komisch. Und in dem Licht, das durchs Küchenfenster auf ihr Gesicht fiel, sah ich Tränen auf ihren Wangen glitzern.
»Was ist los?«, fragte ich beunruhigt. »Ist was mit Papa?«
Mama wurde rot. »Nein, nein, es ist nichts. Ich benehme mich völlig albern. Vielleicht, weil mir Opi so fehlt.«
Das war eine glatte Lüge. Mama kann nicht gut lügen – wir merken es immer, wenn sie nicht die Wahrheit sagt. Entweder hatte Papa angerufen und sie hatten sich gestritten, oder er hatte nicht angerufen und Mama war deshalb so aus der Fassung. Eltern!
»Ist Blondi eine gute Mutter?«, fragte Tori diplomatisch.
Mama stellte ihren Kaffee ab und legte die Arme um unsere Schultern. »Ich glaube, eine bessere als ich«, sagte sie.
Da klingelte das Telefon, und Mama raste wie ein geölter Blitz aus der Küche. Dabei fiel sie fast über Hasi, die sich quer vor die Tür gelegt hatte, was zwar typisch Retriever, aber nicht sehr intelligent war.
»Wahrscheinlich fehlt ihr Opi wirklich«, sagte ich und guckte auf die Stelle, wo Mama gerade noch gestanden hatte. »Aber wetten, dass ihr Papa noch viel mehr fehlt?«
Dann hörten wir aus dem Flur Mamas atemloses »Hallo?« Ich hatte, ohne es zu merken, Toris Hand ergriffen, und wir lauschten gespannt.
»Oh, hallo, Jonas. Ist mit der Bärin und den Kleinen alles in Ordnung?«
Nach dem Klang ihrer Stimme zu urteilen war Mama genauso enttäuscht wie wir. Also, nichts gegen Dr. Nik, aber …
»Dann ist es nicht Papa«, sagte Tori.
»Nein«, entgegnete ich bedrückt.
Am nächsten Tag standen Tori und ich sozusagen vor den Hühnern auf. Es war noch dunkel draußen, aber die Tiere im Safari-Park waren schon wach – man hörte sie alle rufen. Wir zogen uns schnell an.
»Ich mache Kaffee für Mama, weck du sie schon mal!«, sagte Tori zu mir und ging nach unten in die Küche, um Wasser aufzusetzen. Ich hörte Hasis Schwanz auf den Küchenboden trommeln. Was sie so in Aufregung versetzte, war die Aussicht auf einen frühen Morgenspaziergang.
»Mama?« Ich streckte den Kopf durch Mamas Tür. »Können wir uns jetzt die Bärenbabys angucken?«
Mama richtete sich verschlafen auf und rieb sich die Augen. »Was?«
»Du hast gesagt, wir können sie heute Morgen sehen!«, rief ich ihr in Erinnerung.
Mama sah total fertig aus. Mir fiel auf, dass Papas Foto auf dem Kissen neben ihr lag, aber ich schaute rasch woandershin und tat so, als hätte ich es nicht gesehen.
»Ist denn schon Morgen?«, sagte sie, und es klang, als wollte sie einen Witz machen. »Es kommt mir vor wie mitten in der Nacht.«
»Es ist sieben Uhr«, entgegnete ich. Das ist ja wohl Morgen, oder? Manche Eltern sind echt ganz schöne Schlafmützen.
Zehn Minuten später gingen wir durch den frostigen Park zu dem neuen Bärengehege neben dem Tropenhaus. Mama hatte sich den Kaffee mitgenommen, den Tori ihr gemacht hatte. Die nachtaktiven Tiere waren noch ziemlich munter, und die tagaktiven standen allmählich auf, deshalb war schon jede Menge im Park los, obwohl es noch gar nicht richtig hell war. Hasi bellte und schreckte ein dösendes Zebrapärchen auf.
Dr. Nik kam aus dem Bärenhaus, als wir darauf zugingen. Er war blass und sah müde aus und hatte Tränensäcke unter den Augen, in die locker ein Wocheneinkauf gepasst hätte. Als er uns sah, strahlte er übers ganze Gesicht.
»Anita!«, rief er, dann kraulte er Hasi den Kopf. »Heute schon so früh? Und
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