Absolute Beginners
leben?«
Ich drehte mich um und sagte: »Ich meine, dass ich die Tür zu dem ganzen Unsinn zumachen will.«
Big Jill kam zu mir rüber. »Dafür bist du zu jung«, sagte sie. »Wenn du das tust, tust du dir nur selbst weh. Du solltest auf keinen Kitzel verzichten, oder erst dann, wenn es dir nichts mehr gibt.« Sie war doch ziemlich gereizt, wie ich feststellte. »Du bist ein Romantiker!«, sagte sie. »Ein zweitklassiger Romeo!«, und sie nahm mir die Kaffeetasse aus der Hand, als hätte ich versucht, sie ihr zu klauen.
Na, da hast du’s. Das passiert immer, wenn du versuchst die Wahrheit zu sagen, die sie immer hören wollen, weshalb sie dich nerven und auf dich einreden, sie ihnen wider dein besseres Wissen zu erzählen, und dann werden sie immer sauer, wenn sie sie hören, und strafen dich dafür ab. Und genau genommen war es nicht mal die Wahrheit, die ich Big Jill erzählt hatte, zumindest in einer Hinsicht nicht: nämlich, dass Suze und ich es noch gar nicht getan hatten, eigentlich, obwohl wir sehr oft nah dran vorbeigesegelt waren. Aber selbst wenn alles vorbereitet und es uns beiden ernst war, ist nie was passiert, und ich bin nicht sicher, ob es an ihr oder an mir gelegen hat.
Über all das dachte ich nach, als ich aus Napoli nach London rein stapfte, Richtung N. Hill Gate. Und während ich mich die Portobello Road hochquälte, ging ich an einem Krokodil von Kindern vorbei, unter ihnen auch ein paar kleine Negerlein, und mir fiel nicht zum ersten Mal auf, dass sie in der Untergrundbewegung der Halbwüchsigen noch nicht in das Hautfarben-Ding eingewiesen worden waren. Fäuste und Köpfchen, darum ging’s, und der einzige Feind war der Lehrer. Und während ich die Bayswater Road hochging, durch jene zwei Meilen an Gärten, die bei Tag so hübsch und nett sind (aber nicht bei Nacht), hing ich noch immer meinen Gedanken nach, während meine italienischen Slipper mich weitertrugen.
Vielleicht hat Big Jill ja recht und ich denke zu viel nach, aber der Anblick dieser Schulkinder erinnerte mich an den Mann, der mir überhaupt erst
das Denken beigebracht hat, und das war mein Volksschullehrer, ein gewisser Mr. Barter. Ich weiß, es ist unelegant zuzugeben, dass einem ein Lehrer in der
Schule je etwas beigebracht hat, aber dieser Mr. Barter, der schielte, hat es geschafft. Ich geriet unter seine Fittiche, als ich elf war und die
glorreichen 1950er gerade begonnen hatten. Weil alle Schulen vom
Blitz
16 betroffen waren, als ich ein Kind war (woran ich mich kaum erinnern kann, nur an ein paar der V1-Bomben gegen Ende), musste ich eine Meile hoch bis in den Kilburn Park laufen, wo dieser Mr. Barter seine Vorstellung gab. Und jetzt pass gut auf – denn so war es. Der alte Mr. Barter war unter den Männern (und auch Frauen) in all den Schulen, die ich besuchte, bevor ich den Unsinn vor drei Jahren hinschmiss, der Einzige, dem es gelang, mir zwei Sachen klarzumachen – Nummer eins, dass das, was du lernst, einen konkreten Wert für dich persönlich hat und dir nicht bloß als Strafe aufgebrummt wird, und Nummer zwei, dass du alles, was du lernst, erst dann gelernt hast, wenn du es wirklich kapiert hast, d. h. wenn du es zum Teil deiner eigenen Erfahrung gemacht hast. Er erzählte uns Sachen – zum Beispiel, dass Valparaíso eine große Stadt in Chile ist oder x + y gleich dies oder jenes, oder wer all die Henrys waren oder die Georges, und er gab uns das Gefühl, dass all dieses wirre Zeug uns Kids wirklich was anging , etwas mit uns zu tun hatte und von Wert war. Darüber hinaus machte er mich verrückt nach Büchern: er schaffte es, mir beizubringen – bis heute weiß ich nicht wie –, dass Bücher nicht einfach Sachen waren – ich meine, nur Bücher –, sondern jemandes Seele, offengelegt, damit ich hineinschauen kann, und später erzog er mich zu der Gewohnheit, sie auch tatsächlich zu kaufen ! Ja – ich meine echte Bücher, wie die seriösen Paperbacks, die unter den Kids in der Harrow Road seinerzeit total unbekannt gewesen sein müssen, weil sie in dem Glauben waren, dass ein Buch Science-Fiction oder Western zu sein hatte, falls sie überhaupt drüber nachdachten.
Wo wir schon beim Thema sind und niemand noch peinlicher berührt sein kann, als er es ohnehin schon ist, möchte ich auch gerne erwähnen, dass der zweite maßgebliche Einfluss in meinem Leben etwas noch Beschämenderes ist, nämlich dass ich, ob du’s glaubst oder nicht, tatsächlich zwei Jahre lang bei den Wölflingen war! Ja
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