Abteil Nr. 6
Liebe, die nie erfüllt wurde, dann schob sie sich auf die Rückbank, und der Moskwitsch schoss scheppernd los. Wo die Mittagssonne den sauberen Schnee auftaute, kam die rußige Schlacke der umliegenden Fabriken zum Vorschein.
Der Fahrer musterte die junge Frau im Rückspiegel. Er war ein wettergegerbter alter Mann, der Rücken von schwerer Arbeit gekrümmt, das Gesicht ausgezehrt, die Augen vertrocknet. Die dichten Augenbrauen wuchsen miteinander und die Koteletten mit dem Bart zusammen, die spärlichen Haare hatte er mit Hausbier in Fasson gefettet. In der Nacht hatte er vollkommen anders ausgesehen. Auch der Goldzahn war nicht mehr zu erkennen.
»Sind Sie Landvermesserin?«
Die junge Frau sagte nichts. Wieder sah sie der Fahrer im Rückspiegel an.
»Ich meine Geologin. Eine ausländische Geologin aus Moskau. Ich fahre, wohin Sie wollen, aber zuerst die Neuigkeiten aus Moskau. Wie geht es dem Roten Platz? Ist er noch der alte? Und die Moskwa? Wie viele Autos gibt es in Moskau?«
Leicht schlingernd sauste der Moskwitsch an einem versiegten, fünfeckigen Springbrunnen vorbei, den gerade mehrere chinesische Touristen fotografierten. In der Sonnenwärme fiel matter Schnee von den Wohnblockdächern und landete in großen Placken auf den Gehsteigen. Dort standen sibirische Menschen, stark und schön, und bildeten krumme Schlangen vor den Geschäften. An den Kreuzungen heulte der Frühjahrswind.
Der Fahrer fuhr in einen Kreisverkehr. Rechts trotzte ein Turm aus scheckigen Arbusen der Frühjahrsglätte, links lagen Holzkisten kreuz und quer übereinander, sie sahen nach Majakowskis Treppe aus.
Der Fahrer setzte die junge Frau an der Amurbrücke ab.
Trotz der hellen Sonne wurde die Brücke von Scheinwerfern auf Wasserhöhe angestrahlt, deren irreales Licht für einen seltsamen Perspektiveindruck sorgte. Die Brücke schlängelte sich förmlich über den Amur. Die junge Frau schaute auf die Lastwagen, die den Fluss überquerten, und auf die Silhouetten der Hafengebäude. Vor den Schlagbäumen blieb sie stehen, weit weg von den Häuschen der Grenzposten.
Über dem Fluss schimmerte fahl der bläuliche Himmel. Der Aprilwind schleuderte der Betrachterin eine Handvoll graupeligen Schnee ins Gesicht. Sie stützte sich aufs Geländer und blickte auf den Fluss hinunter. Nahe dem Ufer und in der Fahrrinne schwappte lebendiges Schmelzeis auf dem bleigrauen Wasser. Dazwischen hüpfte ein hellblaues Benzinfass. In der Fahrrinne herrschte Gedränge. Zwei chinesische Eisbrecher brachen das Packeis auf. Im Eisbrei trieben chinesische, koreanische und russische Frachter, lange Prahme, Schleppkähne, Baggerschiffe und Fähren in allen Größen, die immer wieder Signale ausstießen. Auf dem Ufereis hatten sich braune Lachen gebildet.
Nach einer Weile machte sich die junge Frau auf den Weg zu einer Bushaltestelle. Der Schnee roch nach Frühling. Eine aufgedonnerte Frau kam ihr entgegen, deren geblümter Rock im Wind flatterte. Sie trug einen kleinen Storch, der Flecken auf dem Gefieder hatte und einen Flügel hängen ließ.
Die junge Frau stieg in den Bus, setzte sich hinter den nickenden Fahrer und fuhr zum größten Hafen der Stadt, nach Ochotsk.
Dort schlenderte sie am vereisten, stellenweise auch quatschend schlammigen Ufer entlang. Eingehend betrachtete sie ein durchgerostetes Schiffswrack, das auf der Seite lag, sie lauschte dem melancholischen Heulen des Windes und dem Geklapper der Hafenmaschinen. Bald kam sie an eine Stelle, wo die Uferwellen wild aufwallten, große Eisschollen abbrachen und die Masse dann gegen den schroffen Fels wuchtete. Der Wasserspiegel stieg offensichtlich und mit ihm die Schollen. Auf einem Felsvorsprung kauerten zwei Männer. Ihren kleinen Jalta hatten sie ein Stück weiter weg geparkt. Über einem Feuer grillten die Männer Spieße mit Aland und Kaulbarsch.
Sie winkten die junge Frau zu sich. Die Wintersonne hatte die Gesichter der beiden braun gebrannt, ihre Jacken waren vorne voller Fischschuppen. Der eine dünstete Harz aus, der andere starken Wein, und beide rochen nach Elend.
»Bald kommt der magnetische Sturm auf und nimmt das Eis mit. Besser, man geht nicht mehr am Ufer entlang.«
Die Männer boten der jungen Frau übel riechenden Wodka und wohlschmeckenden Fisch an. Derjenige, der nach Harz stank, hatte unglaublich schlechte Zähne und erzählte, im Sommer sei ein Giftteppich aus einer chinesischen Chemiefabrik auf dem Amur getrieben und habe fast alle Fische getötet.
»Früher konnte
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