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Abteil Nr. 6

Abteil Nr. 6

Titel: Abteil Nr. 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Liksom
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und stöhnte.
    »Es macht mir nichts aus, dass du es mit hundert heißen Finnenburschen getrieben und mit dicken Backen ihre Schwänze gelutscht hast. Ich hab noch nie das Eigentum anderer verschmäht.«
    Er kniete sich auf den Fußboden und fing an, die Knie der jungen Frau zu küssen. Sie stieß ihn von sich. Da schnappte er sich das Messer vom Tisch.
    »Jedes Weibstück gibt sich her, wenn man sie mit dem Messer an der Halsschlagader kitzelt. Leider bin ich nicht so einer.«
    Er schob das Messer unter die Matratze. Dann stand er auf und ließ sich direkt auf die junge Frau fallen. Er roch nach Moordampf und Hering, und sein Herz schlug heftig. Einen Augenblick später brach er in unbändiges Gelächter aus. Er hustete der jungen Frau sein versoffenes Lachen derart ins Gesicht, dass ihre Wangen glühten.
    »Meine kleine Nutte, ich könnt den Schwanz in dich hineinrammen wie in Sülze. Aber nein. Weißt du, es gibt nichts, was ein Russe nicht erträgt. Wir halten alles aus. Auch die Tatsache, dass man nicht immer eine Fotze kriegt.«
    Seine verschwitzten Wörter rochen nach Alkohol und rannen an den dampfenden Wänden des Abteils herab, als er sich am Bettrand der jungen Frau aufsetzte.
    »Jetzt brauch ich zur Reinigung der Seele ein Glas Wodka.«
    Er füllte sein Glas, kippte sich den Inhalt runter und schien schon wieder aufs Bett fallen zu wollen, stand jedoch schwankend auf. Die junge Frau kauerte an der Abteiltür, bereit, notfalls auf den Gang zu fliehen, der Mann ließ sich nun doch auf ihr Bett kippen. Ächzend richtete er sich gleich danach auf, kratzte sich die Brusthaare, lehrte mit zwei Schlucken ein Glas Wodka und bedachte die junge Frau mit einem müden Blick.
    »Morgen, mein Flittchen, fang ich ein neues Leben an. Je dichter der Wald, desto dicker die Partisanen.«
    Er stieß ein anämisches Heulen aus, krachte erneut in voller Länge auf das Bett der jungen Frau, vergrub das Gesicht im Kissen, schnellte hoch, rappelte sich vom Bettrand auf und stand beängstigend schwankend mitten im Abteil. Sein Blick war stumpf und trüb, die Lippen feucht vom Schreien.
    »Ich beneide die Fliegen, denn ihr Leben ist leicht.«
    Er schlug mit der Faust gegen die Abteiltür, schwankte hin und her, weinte und brach im Weinen in unverschämtes Gelächter aus.
    »Schlag mich! Schlag mich! Prügel dem Kerl die Scheiße aus dem Leib! Hau mir auf die Schnauze!«
    Er schrie, und der Schweiß lief ihm über die Stirn. Regungslos saß die junge Frau auf ihrem Platz, der Mann ließ sich vor ihr auf die Knie fallen, versuchte, ihre Knie zu berühren, und sagte fast flüsternd, mit sanfter Stimme:
    »Schlag mich wenigstens! Hau dem alten Bock den Schädel kaputt, meine kleine Hure! Meine kleine Sadistin. Tritt mich! Tritt mir in die Eier, dass ich das Leben spür! Lehr mich, wie man lebt, und gib mir Frieden. Sogar die verkommenste russische Nutte ist besser als du. Ich will sterben. Stecker raus, Kabel durch … Schneid das Kabel durch!«
    Er taumelte zur Abteiltür und rief in den Gang:
    »Tee und ein Handtuch! Arisa! Tee und ein Handtuch!«
    Kurz darauf trug Sonetschka auf einem Tablett zehn Gläser dampfenden Tee und ein sauberes Handtuch ins Abteil. Der Mann leerte in schneller Folge ein Glas nach dem anderen. Dabei glänzte sein Gesicht rot, und Schweißperlen rannen ihm über den Hals. Er wischte sich trocken, schnarchte einmal auf und versank dann in tiefen Schlaf. Aus dem Nachbarabteil hörte man gedämpfte Stimmen.
    Von dem Dampf aus den heißen Teegläsern beschlugen die Scheiben. Draußen bewachten die schneeigen Schatten schlanker Fichten die tote Taiga. Vor einem kleinen Gebüsch stand ein verlassener Bahnhof. Der Zug sauste daran vorbei und erzeugte dabei so starken Druck, dass die Rahmen der eingeschlagenen Fenster auf die Erde plumpsten. Bald verschwanden auch die Fichten, und um den Zug herum öffnete sich eine karge, fast wüstenhafte Landschaft.
    Die junge Frau suchte in ihrer Tasche nach dem Zeichenblock und fand das Geschenk, das sie von der Rezeptionistin in Irkutsk bekommen hatte. Sie drehte es in der Hand hin und her. Es war ein Thermometer in der Form des Kremlturms. Sie stellte es neben der Vase auf den Tisch.

Die Bahnhofslichter färbten den Schnee und die Seite einer vom Wind zerfetzten Zeitung grün. Die junge Frau hörte Arisa rufen: »Sobald wir die Erlaubnis haben, fahren wir! Bis dahin bleibt jeder in seinem Abteil!«
    Lange stand der Zug am Grenzbahnhof Nauschki. Die Milizionäre sammelten von

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