Abteil Nr. 6
Bezirkszentren, die Dörfer, die Moore und Sümpfe, die Wildmarkgebiete, die Wälder, die Sturmschäden, die Kahlschlaglinien, die linkisch retuschierten Fotografien der Mitglieder des Politbüros am Rand des Zentralplatzes, die neugierigen Menschen vor den Spezialgeschäften, die öffentlichen Saunas, die Zentralkaufhäuser, die Straßenkehrer, die Schneeschaufler, die bestochenen Hotelportiers, der wohlschmeckende Wodka, der trockene georgische Sekt und das Gefühl der Sicherheit auf einer nächtlichen Sowjetstraße. Zurück bleiben die Cafés, in denen man immer satt wird, die weiß auf rot gemalten Parolen, die Schlangen vor den Theaterkassen, die Eisdielen und die Saftcocktails, die Volksmusik, die Diskos in den Valuta-Bars und inmitten einer geschändeten Landschaft die nachts randalierenden Jugendlichen in den ordinär vor sich hin grollenden Plattenbausiedlungen. Zurück bleiben die Sowjetunion, die Lenin-Denkmäler und Lenin-Porträts, die Aquarelle, die verlassene Ufer an einem weiß schäumenden Meer darstellen, die Installateure, Ölarbeiter, die elenden Kolchosenangehörigen und Bergleute, die Nummern- und Adressenauskunftskioske, die Gedenkstätten der Revolution, die Tanzböden in den Parks, die alten Paare, die sich mit Pelzmützen auf dem Kopf im Takt eines traurigen Walzers wiegen, die Treppenbesen, die Flurbesen, die Stubenbesen, die Kammerbesen, die Kellerbesen, die Pflasterbesen, die Stallbesen, die Scheunenbesen, die Klobesen, die Vorgartenbesen, die Hinterhofbesen, die Gemüsebeetbesen, die Brunnenbesen, die alten, in große schwarze Strickjacken gewickelten Frauen, die in staubigen Stulpen und fussligen Pantoffeln gleichgültig ihre schlaffen Besen schwingen. Zurück bleiben die alltägliche Aggression in den Oberleitungsbussen, in den Lebensmittelgeschäften, in den dunklen Ecken der Kommunalkas, in den Kellern der Kolchosen, die Freigebigkeit, das Utopische, das Unpraktische, der Unwille, selbstständig zu werden, die Opferbereitschaft, die Unterwürfigkeit, das ewige Klagen, das legitime Nichtstun, die passiven Volksgenossen, deren Erfindungsreichtum keine Grenzen kennt. Zurück bleibt das Land, in dem ein Unglück als Glück gedeutet wird. Zurück bleiben die die Zeit anzeigenden Wanduhren in den Eingangshallen der Amtsgebäude Moskaus, die Kabinette der Experten, die Parteikomitees der Fabriken, die geheimen Spielhöhlen, die verbotenen Hauskonzerte, die Kunstausstellungen in Atelierwohnungen, die Ortskomitees, die Wärterhäuschen, die Blinibuden, die Plätzchenbuden, die geflickten Dächer, die unterm Schnee eingestürzten Häuser, die Millionen verhungerten Bauern, Städter, Arbeiter, die Millionen in den Gefängnissen, die in Arbeitslagern und auf Baustellen entkräfteten und erfrorenen staatstreuen Volksgenossen, die Denunziationen, die Tyrannei der Partei, die Wahlen ohne Wahlmöglichkeit, der Wahlbetrug, die Erniedrigung und das maßlose Lügen, die Millionen in sinnlosen Kriegen Gefallenen, die an Massengräbern hingerichteten Männer, Frauen, Kinder, die Millionen Sowjetmenschen, die der Apparat misshandelt, gefoltert, schlecht behandelt, vernachlässigt, niedergetrampelt, in die Knie gezwungen, gedemütigt, unterdrückt, verängstigt, getäuscht, zwangserzogen, zum Leiden gezwungen hat. Zurück bleibt die Sowjetunion, das müde, schmutzige Land, und der Zug rast in die Natur hinein, stampft durch eine sandige, menschenleere Landschaft. Alles ist in Bewegung: der Schnee, das Wasser, die Luft, die Bäume, die Wolken, der Wind, die Städte, die Dörfer, die Menschen und die Gedanken.
Die junge Frau fragte sich, wie sie dieses sonderbare Land lieben konnte, das Land und seine demütige, anarchische, gehorsame, rebellierende, sich um nichts scherende, findige, leidende, schicksalsgläubige, stolze, alles wissende, hasserfüllte, kummervolle, fröhliche, verzweifelte, zufriedene, ergebene, liebende, zähe und genügsame Bevölkerung. Konnte sie beide lieben, Mitka und Irina? Den Sohn und seine Mutter?
Die Nacht saust durch die Finsternis und wird zum Morgengrauen, das sich bald in einem neuen lichtlosen Tag verflüchtigt. Der Schnee klettert an den Baumstämmen empor, ein Greifvogel sitzt auf einer orangefarbenen Wolke und sieht auf den Ringelwurm des Zuges herab.
Sobald sich das Durcheinander lichtete und die Leute mit den Kolli ihre Plätze gefunden hatten, schleiften Arisa und Sonetschka den Mann ins Abteil. Arisa fluchte dabei vor sich hin.
»Dieser Bock ist so schwer wie ein
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