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Abtruennig

Abtruennig

Titel: Abtruennig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Dungs
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fallen, bis zu Heinrich vorzudringen. Ich musste nur einen kurzen Moment mit ihm allein sein, mehr würde ich nicht benötigen, alles was danach geschehen würde, war mir egal.
    Ich lief in einem unsagbar schnellen, aber gleichmäßigen Tempo durch die Wälder von Loches. Die Stunden vergingen wie im Flug, sie schienen sich meiner Geschwindigkeit anzupassen oder es kam mir nur so vor, weil die Zeit an sich keine Rolle mehr für mich spielte. Die Sonne würde in kaum einer Stunde aufgehen, doch ich hatte mein Ziel schon erreicht. Meine Füße betraten das Ufer der Vienne und ich konnte die hohen Mauern der Burg Chinon sehen, wie sie hoheitsvoll in den Nachthimmel ragten. Sie war auf einem dreiteiligen Felsen erbaut worden und ich wusste, dass sich die königlichen Gemächer auf dem mittleren Felsen befanden, ich war schließlich schon einmal dort gewesen.
    Meine Gefühle wurden erneut durcheinander geschüttelt, aber ich wollte sie dieses Mal unterbinden. Ich hatte keine Zeit zu verlieren, also bewegte ich mich schnell vorwärts. Ich durchquerte ohne jegliche Mühe den Fluss, als könnte mir die Strömung nichts anhaben und meine Beine liefen automatisch weiter, als ich wieder trockenen Boden unter mir spürte. Ich hatte eine so große Entfernung zurückgelegt und trotzdem war ich noch immer nicht erschöpft. Ich hatte mich darauf eingestellt, dass es mühsam werden würde den ganzen Berg hinauf zu klettern. Es gab auf den Mauern und Aussichtstürmen überall Wachposten, die mich sicherlich früher oder später in der Dunkelheit ausmachen konnten, also wollte ich es von der Seite aus versuchen. Ich bewegte mich scheinbar so geschickt wie ein Tier, das geradezu gemacht war, um nachts zu jagen und sich fortzubewegen. Ich war selbst überrascht, wie schnell ich an der Mauer angekommen war. Meine Wahl war ausgezeichnet gewesen, der Berghang war an dieser Stelle besonders steil, normalerweise wäre ich nie so problemlos hier hoch gekommen – wenn ich es überhaupt geschafft hätte, doch jetzt stand ich dicht an der Steinmauer. Ich presste mich flach dagegen und spähte nach oben. Meine Sicht war bemerkenswert, ich konnte einen Wächter erkennen, der über mir auf den Zinnen stand, sein Blick fest auf den Fluss gerichtet. Ich hatte mich tatsächlich unterschätzt, denn er würde mich von dort oben niemals sehen können, es war finster hier unten und die Nacht war meine Verbündete. Der Mond versteckte sich hinter dichten Wolken und die Fackeln auf den Türmen und auf der Mauer erhellten kaum den oberen Teil der Festung.
    Ich ließ meine Hände entschlossen über die raue Oberfläche gleiten, bis meine Finger Halt an der Steinwand fanden. Meinem Körper genügten die kleinen Ritzen und Unebenheiten in der Mauer, ich konnte mich leicht nach oben ziehen. Wie eine Spinne kroch ich Stück für Stück an der Wand empor, weiter in die Nähe meines Königs, weiter in mein Schicksal, um die Geschichte zu verändern. Niemand schien mich zu bemerken, als ich vorsichtig über die Zinnen krabbelte. Ich hatte den ersten Teil geschafft, ich war auf der Burg, und es war bisher zu leicht gewesen.
    Mein Blick suchte die Umgebung ab: es waren nur drei andere Männer in meiner Nähe, doch sie starrten über die Mauer, hinab auf den Fluss oder die Wälder. Ich lag verborgen im Schatten eines Turms, der es mir ermöglichte mich komplett der Dunkelheit anzupassen. Nun, ich musste mich korrigieren: es war nicht irgendein Turm, er gehörte zu den Gemächern des Königs. Angespannt schlich ich an den Steinen entlang. Ich wollte es von der Außenseite probieren und durch ein Fenster einsteigen, da die Türen auf der Vorderseite selbstverständlich bewacht wurden. Warum sollte ich das Risiko eingehen entdeckt zu werden, wo ich in der Lage war an Wänden entlang zu klettern? Ich lauschte auf die Geräusche um mich herum, aber es war hauptsächlich nur unwichtiges Gemurmel von den Wachen und das leise Surren des Windes zu hören. Ich starrte nach unten, es ging von hier aus gut dreißig Meter in die Tiefe, wenn ich abstürzen würde, wären sicherlich alle Knochen in meinem Körper gebrochen. Mein Blick richtete sich wieder nach oben und ich konnte das besagte Fenster bereits sehen, es lag nur noch ein paar Armlängen von mir entfernt. Ich kletterte weiter und es dauerte nur Sekunden bis ich am Fenstersims angekommen war. Ich versuchte im Inneren etwas zu erkennen; seichtes Kerzenlicht erhellte das prachtvoll ausgestattete Zimmer. Heinrich lag in

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