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Abtruennig

Abtruennig

Titel: Abtruennig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Dungs
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ich ein äußerst behütetes Leben geführt habe, was wohl nicht zuletzt am Wohlstand gelegen haben mag. Und wir hatten Freunde aus dem Adel, was in so vielen Situationen hilfreich gewesen war.“ Ich fuhr mir durchs Haar. „Es ist frustrierend…ich kann mich an winzige Details erinnern; wie zum Beispiel an mein erstes Pferd. Ein rotbrauner Hengst – Chançard – das heißt soviel wie Glückpilz“, warf ich schnell ein. „Er hatte nur einen einzigen kleinen weißen Fleck. Genau zwischen seiner Stirn und dem linken Auge. Kaum zu erkennen, da er unter seiner Mähne versteckt lag. Ich weiß auch noch, wie ich meinem Schöpfer begegnet bin. Doch ich kann dir nicht mehr sagen, wie meine Eltern aussahen. Ist das zu fassen? Der Klang einer Stimme ist das einzige, was mir noch geblieben ist. Ich weiß, wie meine Mutter mir nachts immer mein Lieblingslied vorgesungen hat. Frère Jacques.“ Ich begann es zu summen und Liz strahlte auf einmal.
    „ Ich kenne das Lied. `Are you sleeping? Are you sleeping? Brother John´”, sang sie plötzlich. Ihre Stimme war so klar. So musste sich ein Engel anhören.
    „ Ja, ganz genau.“ Meine kalten Finger suchten nach ihren warmen Händen. „Ist es nicht verrückt, dass ich diese Details noch behalten habe, aber das Wesentliche nicht mehr weiß?“
    „ Es tut mir so leid, Nicholas.“
    Sie ließ ihre Schultern hängen.
    Ich zuckte mit den Achseln.
    „ Das muss es nicht. Es gibt nun mal nichts mehr, was ich vermissen kann, weil es in meinem Kopf einfach nicht mehr existiert. Vincent sagte mir, dass die meisten menschlichen Erinnerungen verblassen. Manchmal auch die Dinge, die man einmal erlebt hat.“
    „ Und wer ist dieser Vincent?“, fragte sie vorsichtig.
    „ Mein Mentor oder Ziehvater, wenn du so willst. Er hat mich zu einem Vampir gemacht.“
    „ Er hat dich verwandelt? Warum? Hasst du ihn dafür nicht?“
    „ Nein, keineswegs. Er hat mir die Wahl gelassen und ich habe es nicht bereut.“ Ich streichelte zärtlich über ihren Handrücken. „Es war im Jahre 1857, als ich ihn traf. Mein zwanzigster Geburtstag lag erst ein paar Tage zurück und ich sollte mir noch ein Geschenk aussuchen. Ich war mit irgendjemand unterwegs gewesen. Ich weiß nicht mehr, wer es war“, ich tat es mit einer Handbewegung ab. „Es spielte vermutlich sowieso keine Rolle. Jedenfalls wollte ich nach Paris und mich komplett neu einkleiden lassen. Zugegeben, ich war etwas eitel, aber das war nun mal die Zeit“, ich grinste verschmitzt und Liz lächelte amüsiert zurück. „Paris war auch damals ein Ort der Versuchungen und ich war jung und…dumm.“ Ich lachte tonlos. „Ich wollte mir unbedingt das Moulin Rouge ansehen. Es lag am Boulevard de Clichy und war im Übrigen kein Freudenhaus, auch wenn das anscheinend viele dachten. Es wurde hauptsächlich für Bälle genutzt, bei denen Tänzerinnen Cancan und Chahut tanzten. Ich glaube, ich war ein ganz passabler Tänzer, zumindest kann ich mich entsinnen immer freiwillig getanzt zu haben.“ Ich zwinkerte. „Ich entschied mich also dafür, dem Haus am Abend einen Besuch abzustatten.“ Meine Stirn legte sich in Falten. „Frag’ mich nicht, was gezeigt wurde. Ich kann mich an nichts mehr erinnern, aber das ist eigentlich auch nicht wichtig… Allerdings traf ich dort einen der Männer, der beim späteren Überfall mit dabei war. Ich fürchte, ich habe im Moulin Rouge wieder viel zu dick aufgetragen, im Grunde logisch, das man dann auch allerhand üble Gesellen damit auf sich aufmerksam macht.“ Es war mir wirklich unangenehm, denn zu meinen Lebzeiten war ich tatsächlich ein Lebemann gewesen, obwohl ich noch so jung gewesen war. Das hätte Peter gefallen. Ich verwarf diesen Gedankengang und konzentrierte mich wieder auf meine Erzählung. „Nun, es war weit nach Mitternacht, als ich das Etablissement alleine verlassen hatte – wo auch immer mein Begleiter war – und durch die Straßen von Paris schlich. Wie so oft, hatte ich zuviel Wein getrunken. In Lyon hatte ich nichts zu befürchten, weil ich dort jedermann bekannt war und wir einflussreiche Freunde hatten. Doch Paris war groß und anders… Ich war eine leichte Beute für eine Gruppe von Herumtreibern, angeführt von meinem vermeintlichen Trinkbruder aus dem Moulin Rouge.“ Mein Blick verdüsterte sich ein wenig, ich konnte es in Lesleys Augen sehen. „Sie trieben mich durch dunkle Gassen, weit weg vom eigentlichen Geschehen in den Hauptstraßen. In einem schmutzigen und einsamen

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