Acacia 01 - Macht und Verrat
jetzt mehr gelitten als er. Er hatte in Manil zwei Schwestern verloren, eine Base und mehrere Diener, die er seit frühester Kindheit gekannt hatte. Durch den Tod mehrerer anderer hochrangiger Akaran war er dem Thron ein ganzes Stück näher gerückt. In der Vergangenheit hätte Aliver erwartet, dass Hephron sich darüber freuen würde, doch solch kleinliche Überlegungen waren sinnlos geworden. In Hephrons Gesicht zeigte sich nichts als Trauer und die Entschlossenheit, sich den Herausforderungen zu stellen.
»Ich habe gerade erfahren, wo ich dienen werde«, sagte Hephron. »Sie schicken mich nach Alecia. Ich hatte darum gebeten, Aushenia verstärken zu dürfen. Dort werden sie mit Sicherheit auf die Horde treffen, die Cathgergen eingenommen hat, und ich wollte dorthin, wo ich am dringendsten gebraucht werde.« Er stockte und hing ein paar Schritte lang seinen Gedanken nach. Von der tiefer gelegenen Terrasse schallte ein Schrei herauf, doch sie waren ein ganzes Stück entfernt und gingen im selben Tempo weiter. »Aber... es ist auch nicht ohne jegliche Ehre. Ich werde General Rewlis’ Stellvertreter sein.«
»Du ein stellvertretender Kommandeur?«, stieß Aliver hervor und blieb wie angewurzelt stehen.
»Tut nur nicht so überrascht.«
»Ich bin... ich bin nicht überrascht.«
»Alles hat sich verändert«, sagte Hephron. »Das erkennt selbst die Gilde an. Sie haben alle drei Transportschiffe zurückbeordert und sind ohne ein Wort der Erklärung damit davongesegelt. Wir können zwar noch immer Truppen befördern, aber nicht mehr so leicht, wie wir es gern hätten.«
»Hat sie ihre Hände mit im Spiel?«, fragte Melio. »Ich meine die Gilde. Weißt du etwas darüber, Aliver?«
»Nichts Genaues«, erwiderte er. »Aber ich bezweifle es. Die Gilde lebt und atmet, um mit Handel Profit zu machen. Mit wem sie ihre Geschäfte machen, ist ihnen egal. Sie sind einfach nur vorsichtig und auf ihren Vorteil bedacht.«
Hephron grinste. »Da sind sie nicht die Einzigen.«
»Wie meinst du das?«, fragte Melio.
»Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu reden. Später vielleicht.«
»Weshalb später?«, fragte Aliver. »Wegen mir? Gibt es etwas, das du in meiner Gegenwart nicht auszusprechen wagst?«
Hephron blickte Aliver an und sah sogleich wieder weg. »In Eurer Gegenwart halte ich stets meine Zunge im Zaum. Das tut jeder. Niemand möchte den zukünftigen König gegen sich aufbringen.«
»Du scheinst es aber dennoch darauf anzulegen«, stichelte Melio.
»Wir hätten uns damals nicht streiten sollen. All dies Geprahle zwischen uns war dumm, aber ich weiß ein paar Dinge, die dem Prinzen unbekannt sind, und ich kann nicht umhin, daran zu denken. Mein Vater wollte nicht, dass ich getäuscht werde. Er hat mir immer die Wahrheit gesagt. Vielleicht wird das auch dir neu sein, Melio. Er hat gesagt, unsere Verbrechen würden eines Tages auf uns zurückfallen. Alles, was gerade geschieht … wenn du die Wahrheit wüsstest, würde dich nichts davon überraschen. Woher stammt beispielsweise unser Reichtum, was meinst du? Darüber erzählt man uns nichts. Wir sollen einfach glauben, Reichtum sei von Dauer. Wir haben ihn damals erworben, also gehört er auf ewig uns, nicht wahr? Wir sind ein wunderbares Volk, dessen natürliches Recht es ist, über den Rest der Welt zu herrschen. Alle sind damit zufrieden. Es ist wirklich zu ihrem eigenen Besten.« Er grinste seine beiden Kameraden an. »Hört sich das für euch richtig an? Denkt drüber nach. Wenn ihr begriffen habt, dass die Rechnung nicht ganz aufgeht... kommt zu mir. Dann erzähle ich euch alles, was ich über Acacias verdorbenes Herz weiß. Und dann werdet ihr euch fragen, weshalb man uns nicht schon eher angegriffen hat.«
Aliver verspürte den Wunsch, ihn zu schlagen. Ihn mit einer Ohrfeige aufzufordern, das Schwert zu ziehen. Niemand würde eine geringere Antwort auf eine solche Beleidigung der Nation erwarten. Oder vielleicht sollte er ihn melden. Ihn von den Offizieren verhören lassen. War das nicht seine Pflicht? Was, wenn Hephron auf Verrat aus war?
»Ich entschuldige mich, falls ich Euch zu nahe getreten sein sollte«, sagte Hephron ohne das geringste Anzeichen von Zerknirschung. »Ihr seid es nicht, auf den ich zornig bin. Ihr seid bei alldem genauso nur eine Spielfigur wie ich. Aber ich bin derjenige, der den Hals dafür wird hinhalten müssen. Ich und Melio und viele andere.« Er wandte sich zum Gehen, machte ein paar Schritte rückwärts, ehe er
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