Acacia 01 - Macht und Verrat
Anhänger wohl am Hals seiner Besitzerin ausgesehen haben mochte. Vielleicht hatte sie danach gegriffen, als der Tod auf sie herabgestürzt war und sie mit seinen Krallen gepackt hatte. Ihr wurde erneut übel, denn sie musste daran denken, dass sie den Dorfbewohnern verboten hatte, zum Himmel aufzuschauen.
Sie richtete sich auf und befestigte den Anhänger an der Schnur, die sie um den Hals trug, dann blickte sie am Baum empor. Der Aufstieg würde schwierig werden. An der rauen, rissigen Rinde würde sie mit Händen und Füßen zwar gut Halt finden, doch stellenweise war sie brüchig, vermodert und von Termiten zerfressen. Sie riss ein paar Brocken davon ab. Eigentlich war es erstaunlich, dass der Baum überhaupt noch aufrecht stand. Entschlossen setzte sie den Fuß auf einen Auswuchs, zog sich mit den Armen hoch und begann zu klettern.
Eine Stunde später durchbrach sie das Laubdach; sie hatte die Lebensräume von Tieren und Insekten durchmessen, von deren Existenz sie bislang nicht einmal gewusst hatte. Sie blinzelte in die plötzliche Helligkeit. Der Wind streifte über ihre schweißnasse Haut, und sie spürte das Schwanken des Baumes. Trotz des Windes war der Gestank stärker geworden. Auf den Ästen war mehr und mehr Vogelkot zu finden, der an ihren Händen klebte, sodass sie immer schwerer Halt fand. Sie musste die Fingernägel tief in das Zeug graben. Als sie das Stück nackter Rinde unterhalb des Horsts erreicht hatte, setzte sie sich rittlings auf einen Ast, lehnte sich mit dem Rücken an den Stamm und schöpfte Atem.
Ein Schwarm gelber Papageien strich über die Baumkronen hinweg, rasche Flügelschläge, dann ein Gleitflug. Unter ihr huschten Sittiche umher, stets auf Deckung bedacht. Nichts Größeres schwebte in der Luft, keine gewaltigen Raubvögel, nichts von göttlicher Herkunft. Im Osten verdichteten sich die Wolken; dort braute sich vielleicht das erste Sommergewitter zusammen.
Der Horst über ihr schien leer zu sein. Abgesehen von einem gelegentlichen Rascheln des Nestes war es dort oben still. Sie könnte hinaufklettern und hineinsteigen, sich umschauen, ihr weiteres Vorgehen planen. Mena hoffte, dass dieses letzte Wissen irgendwie zu ihr kommen würde, denn noch hatte sie keine klare Vorstellung, was sie tun sollte.
Sie öffnete den Sack und zog ein zusammengerolltes Seil hervor. Es war aus dünnen Pflanzenfasern geflochten und fühlte sich ölig an. Sie schüttelte es aus. Das Ende des Seils ließ sie herabfallen, wobei sie sich bemühte, nicht in die Schwindel erregende Tiefe zu blicken. Das andere Ende befestigte sie an einem dreizackigen Haken, mit dem sonst nach großen Meeresfischen geangelt wurde. Dann schleuderte sie den Haken über den Rand des Nestes. Schon beim ersten Versuch blieb er hängen. Als sie daran zog, gab er ein wenig nach, ein paar Zweige brachen – dann saß er fest.
Als sie das Seil packte und von dem Ast heruntertrat, hob sich der Aalanhänger von ihrer Brust und klatschte dann wieder auf ihre Haut. Einen Moment lang hing sie mit ihrem ganzen Gewicht an dem Seil. Sie ertappte sich dabei, wie sie ein Gebet an Maeben sprechen wollte, biss sich aber auf die Zunge und würgte die ungesagten Worte hinunter. Als sie aufgehört hatte zu pendeln, griff sie mit einer Hand vor die andere und kletterte hinauf. Sie dachte an Melio, vielleicht weil sie ihre Körperkraft zum großen Teil seiner Ausbildung verdankte. Doch dann hatte sie den Astverhau des Horsts erreicht und musste sich darauf konzentrieren, über den Rand zu klettern.
Keuchend klammerte sie sich fest und suchte nach Halt für die Hände, als auf einmal ein grotesker Vogelkopf über den Rand lugte. Er war nur eine Armlänge entfernt. Der Vogel öffnete den Schnabel und krächzte. Irgendwas stimmte nicht mit ihm, doch Mena hatte keine Zeit zum Überlegen. Da sie erwartete, dass der Vogel auffliegen würde, bewegte sie sich vor Angst umso ruckartiger. Sie wich so weit zurück, wie es ging. Das Nest schwankte unter ihrem Gewicht. Äste und Zweige brachen. Sie brauchte endlos lange, bis sie es wagte, mit der Rechten loszulassen und das Schwert zu ziehen. Kaum aber hielt sie die Waffe in der Hand, wusste sie genau, was zu tun war. Mit aller Kraft holte sie aus. Das Schwert traf den Vogel am Hals, doch der Winkel stimmte nicht, und die Wunde ging nicht tief. Noch immer erstaunt darüber, dass sie Zeit dafür hatte, riss sie die Klinge heraus und schlug erneut zu. Diesmal stimmte der Winkel. Der Kopf des Vogels flog in
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