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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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die Luft und fiel neben dem Körper ins Nest.
    Kurz darauf hockte sie in dem Nest und blickte auf den zuckenden Vogelkörper nieder. Jetzt war ihr klar, was sonderbar daran gewirkt hatte. Der Vogel war nur spärlich gefiedert, nicht größer als ein Geier, und bot einen kläglichen Anblick. Ausgewachsene Seeadler waren zwei- bis dreimal so groß. Das war gar nicht Maeben. Das war ein kaum halbwüchsiges Junges. Mena lag ein Scherz über Wesen auf den Lippen, die nur eine Mutter lieben konnte, doch sie schluckte ihn hinunter.
    Dann setzte sie sich hin und dachte, wie ungemein seltsam das alles war, staunte darüber, dass sie tatsächlich hoch über dem Wald von Uvumal in einem schwankenden Seeadlerhorst saß, neben sich einen toten Vogel und ein blankes Schwert in der Hand. Wer war sie? Wann war sie zu dieser Person geworden? Vielleicht war das alles ja Wahnsinn, dachte sie. Eine Krise, die sie selbst herbeigeführt hatte. Sie konnte sich zwei verschiedene Wege in die Zukunft vorstellen: Der eine endete hier in diesem Nest, der andere war ein solcher Sprung ins Ungewisse, dass sie es sich kaum vorzustellen vermochte. Seltsamerweise hätte sie sich mit beiden Möglichkeiten abfinden können.
    Ihr wurde bewusst, dass sie einfach wieder hinunterklettern könnte. Sie hatte der Göttin ein Kind geraubt. Sollte sie sehen, wie sich das anfühlte. Sie könnte das Seil ergreifen, sich auf den nächsten Ast abseilen und vor Ausbruch des Gewitters wieder auf dem Erdboden stehen. Sie könnte mit dem Gefühl heimkehren, etwas vollbracht und blutige Vergeltung geübt zu haben.
    Doch das würde sie nicht tun. Sie war noch nicht fertig.
    Als das Rauschen des auffrischenden Windes von lautem Flügelschlagen übertönt wurde, hatte sie eine andere Haltung eingenommen. Sie lehnte an dem Rand des Nestes, das tote Vogeljunge auf dem Schoß. Der Kopf fehlte natürlich, doch sie bedeckte den Halsstumpf mit der Hand. In dieser Haltung erwartete sie die Rückkehr der Mutter und hoffte, die Tarnung würde ihr helfen, nahe genug heranzukommen, um zuschlagen zu können.
    Der Raubvogel hob sich als dunkle Silhouette von den Wolken ab. Bevor er landete, breitete er die Schwingen aus, als wollte er den ganzen Himmel verdecken. Das Nest schwankte unter dem Gewicht des Tieres, das Halt suchend die Krallen ins Gezweig grub. Der Adler war gewaltig, bestimmt ebenso groß wie Mena.
    Maeben!
    Es bestand kein Zweifel, dass dies Maeben war. Mit ihrem Schnabel hätte sie Menas Gesicht umfassen können; ihre Krallen waren tückische Dolche, die ihr mit einer einzigen Bewegung den Bauch hätten aufschlitzen können. Mena bezweifelte nichts davon, dennoch war sie froh, ihr endlich gegenüberzustehen. Sie war von einem Gefühl erfüllt, doch es war keine Angst. Noch nie hatte sie heftiger gehasst. Ein Kind zu sein und von diesem Ungeheuer entführt zu werden... nur ein Kind …
    Warte, dachte sie. Warte, bis sie näher kommt.
    Eine Weile herrschte Stille. Dann stieß der Adler einen Schrei aus, lauter und durchdringender als das Krächzen des Jungvogels gewesen war. Maeben stupste ihr Junges mit dem Schnabel an, wich zurück und stupste es erneut, jetzt wusste sie, dass etwas nicht stimmte.
    Mena stieß das Junge weg und führte einen Hieb gegen den Kopf des Vogels. Sie hätte ihn enthauptet, wenn das Schwert sich nicht an einem Ast verfangen hätte; so aber streifte sie nur seinen Schnabel.
    Maeben schwang sich kreischend in die Luft. Sie schrie erneut, diesmal so wild, dass Mena unwillkürlich die Augen schloss. Eine Moment lang hatte sie das Gefühl, der Schrei allein könnte ihr die Haut vom Gesicht reißen. Dann schlug sie die Augen wieder auf.
    Der Seeadler stieß mit vorgestreckten Krallen auf sie herab, mit seiner ganzen Kraft und seinem ganzen Gewicht. Mena stolperte rückwärts. Mit der Ferse blieb sie irgendwo hängen und kippte über den Rand des Nestes. Sie wollte sich festhalten und ließ dabei das Schwert los. Als sie in die Tiefe stürzte, bekam sie mit der Linken das Seil zu fassen. Es schnitt durch ihre Handfläche, die Fasern glatt und schürfend rau zugleich. Sie warf sich herum und packte das Seil auch mit der Rechten, wodurch sie mit einem Ruck zum Stillstand kam. Dann löste sich der Angelhaken. Ein paar verzweifelte Sekunden lang stürzte Mena ins Leere. Sie prallte gegen einen Ast. Er brach fast augenblicklich ab, verlangsamte ihren Sturz jedoch genug, dass sie nach dem nächsten Ast greifen konnte. Sie schlug mit der Brust dagegen,

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