Acacia 01 - Macht und Verrat
war, doch nichts in seiner Erinnerung besagte, wie man einen Kreis aus vierzehn Bewaffneten durchbrechen konnte.
»Ihr macht einen schweren Fehler!«, rief er den Wächtern, den Priestern und den Dorfbewohnern zu. »Wenn ihr mir etwas antut, wird die Priesterin zürnen. Begreift ihr nicht, was hier geschehen ist?«
Die Wächter stutzten, hielten inne.
»Ich habe gesagt, ihr sollt ihn töten!«, wiederholte Tanin.
Melio löste eine Hand lange genug von dem Holzschwert, um auf den toten Vogel zu zeigen. »Das ist nicht mehr Maeben. Diese Maeben wird nie wieder eure Kinder rauben. Das hat die Priesterin für euch getan.«
»Tötet ihn auf der Stelle!«
Einer der Wächter sprang vor und führte einen Abwärtshieb gegen Melio. Dieser drehte den Rumpf, um auszuweichen. Mit einem harten, blitzschnellen Schlag traf er den Mann mit der flachen Seite der Klinge an der Wange. Die Wucht des Schlages riss den Tempelwächter vom Boden hoch – zuerst den Kopf, dann folgte der Körper – und ließ ihn schlaff zu Boden stürzen.
Die anderen hatten sich nicht gerührt. »Ich will nicht mit euch kämpfen«, wandte Melio sich an sie. »Auch nicht mit den Priestern. Wenn Maeben eine Göttin war, dann ist die Priesterin eine Gottesmörderin. Das ist die Wahrheit. Die Priesterin wird es euch selbst sagen.«
Tanin hatte genug. Er drängte sich durch die Menge zu der Lücke, die der verletzte Wächter hinterlassen hatte, und hob das Holzschwert auf. Seiner Haltung war zu entnehmen, dass er damit umzugehen verstand. Der Kreis zog sich wieder zusammen.
Der Worte waren genug gewechselt. Melio suchte sich einen Stock aus und traf ihn mit solcher Wucht, dass die Hand, die ihn hielt, ihn beinahe fallen gelassen hätte. Er spürte, dass sich ein weiterer Angreifer von hinten näherte, und fuhr herum. Er streckte einen Mann mit einem Treffer am Knie nieder und traf dann einen anderen mit einem abwärtsgeführten Hieb, der hörbar das Schlüsselbein zerschmetterte. Tanin forderte brüllend immer wieder seinen Tod. Melio bemühte sich, ihn in dem Gewoge von Leibern und Waffen auszumachen, doch das Durcheinander war einfach zu groß. Er hörte auf, darüber nachzudenken, was er tat, ließ seinen Körper einfach herumwirbeln und in die Luft springen, sich ducken, zustoßen und Hiebe austeilen. Seine Bewegungen wurden nur noch von einem Instinkt gesteuert, der schneller war als die schwerfällige Maschinerie seines Bewusstseins. Holz prallte krachend gegen Holz. Er wusste, dass sein Stock häufig auf Weichteile traf, Knochen brach, doch die Angreifer drängten auf ihn ein, und es war kein Ende abzusehen.
Melio wusste nicht, ob Minuten oder Sekunden verstrichen. Er verlor jedes Zeitgefühl, bis der Ansturm der Waffen allmählich nachließ. Bald darauf wirbelte er in einem Tanz ohne Gegner umher.
Er hielt inne. Keuchend und schweißnass stand er da und ließ den Blick umherhuschen, die Waffe schlagbereit erhoben. Die Tempelwächter hatten sich zurückgezogen. Die meisten sahen ihn nicht einmal mehr an. Sie blickten auf etwas hinter ihm. Allein Talin starrte ihn unverwandt an, das Gesicht vor Wut und ungläubigem Staunen verzerrt, sein Mund ein nach Luft schnappendes Oval. Melio verstand, was in ihm vorging. Sie hatten ihn nicht einmal berührt. Kein Einziger hatte seine Abwehr durchbrochen und Fleisch mit Holz getroffen. Der Boden war übersät mit Verletzten, während er selbst nicht einmal einen blauen Fleck davongetragen hatte. Das gab Tanin offenkundig ein Rätsel auf. Allerdings war dies nicht der Grund, weshalb der Kampf zum Erliegen gekommen war.
Eine Vumu-Frau drängte sich durch die Menge. Eine Welle der Verwirrung ging ihr voraus. Die Menschen schrien auf sie ein, griffen nach ihr, überschütteten sie mit Fragen. Die Frau zeterte, während sie sich zwischen ihnen hindurchdrängte. Was immer sie sagte, peitschte die Wogen der Erregung noch weiter auf, doch sie verstummte erst, als sie Vaminee erreichte.
Vor dem Priester fiel sie auf die Knie und setzte zu einer leidenschaftlichen Rede an. Melio musste sich mit aller Kraft konzentrieren, um sie zu verstehen. Hinter ihr folgten noch andere, sie rannten aus derselben Richtung herbei, aus der sie gekommen waren. Wahrscheinlich brachten sie dieselben Neuigkeiten.
Vor einer Stunde, so berichtete die Frau, sei Maeben-auf-Erden im Haus des Magistrats erschienen. In ihrem Göttinenputz sei sie durchs Tor marschiert. Sie sei an den verblüfften Wachposten vorbeigegangen und habe verlangt,
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