Acacia 01 - Macht und Verrat
wissen, was er davon hielt, gleich darauf war er jedoch wieder fröhlich. »Nein, du siehst gut aus. Ich... Mir geht es nicht so gut. Das war vielleicht ein Auftrag, mit dem du mich da bedacht hast, Neffe. Was für ein Auftrag...«
»Aber du hast es geschafft.«
Haleeven musterte ihn einen Moment schweigend, dann nickte er. »Komm, ich zeige dir alles.«
An Haleevens Seite besuchte Hanish jeden Einzelnen seiner Ahnen. Er kletterte auf die großen Wagen, berührte die Sarkophage mit den Händen, flüsterte seine Begrüßung und sprach uralte Gebete. Er spürte das Leben in den Behältnissen, es war fast mit den Händen zu greifen. Eine unbestreitbare, wilde Energie ging von ihnen aus. Sie drosch in gedämpftem Schweigen auf die Welt ein, als ob jeder von ihnen in einem schalldichten Raum Zeter und Mordio schrie. Hanish erkannte die Erschöpfung und das Unbehagen in jeder Bewegung der Arbeiter. Die Angst stand ihnen ins Gesicht geschrieben und hatte offenbar einen noch höheren Tribut gefordert als die körperliche Anstrengung. Selbst die Ochsen, für gewöhnlich ruhige Geschöpfe, waren nervös und mussten sorgfältig beaufsichtigt werden.
Haleevens Reisebericht, vorgebracht am Nachmittag und während des Abendessens im Lager, war eine lange Aneinanderreihung von Beschwernissen und Rückschlägen. Als er geendet hatte, saßen die beiden Männer schweigend da, während es allmählich Nacht wurde. Bäume verdeckten Hanish die Sicht auf die Sterne, die Unterseite des Laubdachs glühte im Schein der Lagerfeuer. Haleeven entzündete eine Pfeife mit Hanfblättern und zog daran, eine Angewohnheit, von der Hanish bislang nichts gewusst hatte. Beinahe hätte er eine missbilligende Bemerkung gemacht. Doch es war ja nicht so, als ob sein Onkel Nebel geraucht hätte. Vielleicht hatte er sich ein Recht auf ein Laster verdient. Seine Gedanken wollten gerade zu Corinn abschweifen, als Haleeven das Schweigen brach.
»Sie sind sehr ungeduldig«, sagte er.
Hanish brauchte nicht zu fragen, wen er meinte. »Ich weiß.«
»Sie sind zornig.«
»Ich weiß. Ich habe...«
Sein Onkel beugte sich jäh vor und packte seinen Neffen am Handgelenk. Er wartete, bis Hanish ihm in die Augen sah, dann durchbohrte er ihn mit seinem Blick. »Du weiß gar nichts! Du hast sie nicht die ganze Zeit um dich gespürt wie ich. Sie sind jetzt hellwach. Ihr Rachedurst ist so groß, dass sie vor Erwartung beben. Ich fürchte sie, Hanish. Ich fürchte sie wie nichts sonst auf der Welt.«
Mit einer langsamen, aber entschlossenen Armdrehung machte Hanish sich von ihm los. Er sprach mit der Überzeugung, die er – wie er wohl wusste – empfinden sollte, und bemühte sich, an seine Worte zu glauben. »Ihr Zorn gilt nicht dir, Onkel. Wir haben von ihnen nichts zu befürchten.«
»Das haben sie uns immer gesagt«, erwiderte Haleeven. »Was hast du der Prinzessin erzählt?«
»Du meinst, was mit den Tunishni geschehen wird? Ich habe ihr gesagt, sie könnte mir helfen, sie zu erlösen. Einen Tropfen ihres Blutes, habe ich gesagt, und ihren Segen, das sei alles, was wir bräuchten, um den Fluch zu brechen. Allerdings hat sie mir nichts davon angeboten. Und ich habe sie nicht gedrängt. Sie glaubt, ich könnte auf ihren Segen verzichten.«
»Das kannst du auch«, sagte Haleeven. »Hast du ihr auch gesagt, was es bedeutet, den Fluch zu brechen? Oder dass es zwei verschiedene Möglichkeiten gibt, das zu tun, und dass beide sehr unterschiedliche Folgen haben?«
»Ich habe ihr gesagt, unsere Ahnen würden nach der Befreiung im Tod ihre letzte Ruhe finden. Ich habe gesagt, sie wünschten sich nichts als Frieden und Erlösung.«
»Mehr hast du ihr nicht gesagt?«
Hanish nickte.
Nach kurzem Schweigen sagte Haleeven: »Dann warst du nicht aufrichtig zu ihr.«
»Ja, das stimmt. Sie glaubt, unsere Ahnen wünschen sich Frieden, während sie in Wahrheit wieder auf Erden wandeln wollen...«
»... mit gezückten Schwertern...«
»... um blutige Rache zu nehmen.«
Danach saßen sie eine Weile da; es gab nichts zu sagen, was sie beide nicht schon gewusst hätten. Hanish streckte die Hand nach der Pfeife aus. Haleeven reichte sie ihm.
59
Maeander war derselbe Gedanke schon früher gekommen, doch nun hatte er letzte Gewissheit: Nichts brachte sein Blut so sehr in Wallung wie die Aussicht auf Krieg. Neue Geliebte, körperliche Ertüchtigung im Wettkampf, das Horten von Reichtümern, die Jagd auf Tiere oder Menschen, Geplänkel und Strafaktionen: Dies alles verblasste
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