Acacia 02 - Die fernen Lande
irgendetwas daran hatte ihr missfallen. »Er darf teilnehmen«, sagte sie, »aber setze ihn an einen weit entfernten Tisch. Selbst ein König sollte uns rechtzeitig Bescheid geben, wenn er zu Besuch kommt.«
»Wie Ihr wünscht«, sagte Rhrenna, »obwohl ich dann womöglich selbst zu den weit entfernten Tischen hinüberwandern muss.« Lächelnd schob sie die Dienerin beiseite, die gerade Corinns schmale Krone hochgehoben hatte, und setzte sie der Königin selbst auf. Die Krone war aus Weißgold, das zu mit zarten Dornen überzogenen Zweigen geformt war, und hatte einen Rubin in der Mitte, der so dunkel war, dass er schwarz wirkte. Angehörige der acacischen Königsfamilie trugen gelegentlich Kronen, obwohl sie ihren Rang ebenso leicht mit Halsketten, Ohrringen oder Armreifen zeigen konnten, oder sogar mit Kleidungsstücken in einem Stil, der mittlerweile seit Jahrhunderten ausschließlich für sie angefertigt wurde. Corinn jedoch hatte dieses Stück ins Herz geschlossen, seit der Juwelier es ihr zum ersten Mal gezeigt hatte. Das Gold fühlte sich rau an, und der Stein schien in seinen Tiefen Geheimnisse zu verbergen.
»So.« Rhrenna trat einen Schritt zurück und musterte Corinn, als hätte sie die Verwandlung selbst herbeigeführt. »Ihr seid grausam, Corinn. Die Männer werden vor Lust schwitzen, wenn sie Euch sehen, und den Frauen wird vor Neid übel werden. Zumindest den meisten. Einigen könnte außerdem auch vor Lust übel werden.«
Als Corinn in den überfüllten Innenhof kam, in dem das Bankett bereits im vollen Gange war, erinnerte sie sich vage daran, wie viel Erfolg sie in ihren Jugendjahren mit höfischen Intrigen gehabt hatte. Damals war ihr nichts so wichtig gewesen wie das Gerangel um Status und Gunst unter ihren Adligen. Ansehnliche Knaben, rivalisierende Mädchen, die verweilenden Blicke älterer Männer und ihre beflissene Schmeichelei; wer hat wen auf dem Übungsplatz besiegt, wer trug die feinsten Gewänder und wie – all das war einige Zeit lang ihr Lebensinhalt gewesen. Wie fremd dieses Mädchen Corinn jetzt war. Wie unerträglich, dass ihr Vater sie so lange in dieser Illusion hatte leben lassen.
Andererseits, was mache ich wirklich anders?, fragte sich die Königin, während sie nickte und lächelte und die Lippen zur Kenntnis nahm, die auf ihre Hand gedrückt wurden. Wieder schreite ich durch ein Labyrinth aus Illusionen, das ich selbst geschaffen habe. Vielleicht wird mich an einem Abend wie diesem irgendein Wahnsinniger vom Rand der Bekannten Welt niederstrecken, genau wie es meinem Vater widerfahren ist. So ähnlich wie es Aliver widerfahren ist. Es ist ein Narrenspiel, aber was bleibt mir denn anderes übrig? Soll ich Aaden und mich etwa im Palast oder in Calfa Ven einschließen? Letzteres war eine verlockende Idee, doch das ging nicht. Ein solcher Kurs wäre vielleicht sogar noch gefährlicher. Nein, dachte sie, es ist besser, wenn ich sehe, wo die Schlangen liegen, als dass ich plötzlich auf eine drauftrete. So kann ich sie wenigstens ausmerzen.
Sie schritt mit kühlem Abstand durch die versammelten Menschen, geführt von einer Schar Zofen, die sie genauso beharrlich flankierten wie ihre Numrek-Wachen. Im Gegensatz zu den wortkargen Wachen – die, wie sie bemerkt hatte, in den letzten Wochen noch düsterer geworden waren, fast so, als gefiele ihnen ihre Arbeit nicht mehr – waren ihre Zofen ausgelassen und heiter. Der Hof war eine Galaxis mit vielen Konstellationen. Corinn war Herrin über sie alle, aber vor ihr wogten Repräsentanten aus dem ganzen Reich – Königskinder, reiche jüngere Brüder und Schwestern, Stammesprinzen und -prinzessinnen –, jeder das Herzenskind irgendeines Verbündeten, jeder umgeben von ihren oder seinen Bediensteten. Und dazwischen streiften die Ehrgeizigen und die Arroganten umher: Senatoren und Adlige, Agnaten und Landbesitzer, Schiffsbauer und Gildenmänner, Konkubinen und ihre Liebhaber, Wachen und Eskorten. Allesamt Speichellecker. Größtenteils Lügner. Manche von ihnen liebten Corinn, aber bei ihnen argwöhnte sie eigene Schwächen.
Ihr Verstand war nur dann wirklich bei der Sache, wenn sie das Bedürfnis verspürte, bestimmte Menschen zu berechnen oder zu studieren oder zu beobachten, um zu sehen, was sie in einem unbedachten Augenblick verraten mochten. Sie ließ sich in dem Sessel nieder, der für sie vorbereitet worden war: ein Thron auf einem Podest, davor ein mit Speisen beladener niedriger Tisch, links und rechts daneben ein
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