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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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sah er es deutlicher.
    Es waren keine Insekten, sondern Kolibris! Zehn oder mehr Kolibris schwirrten über Devoth durch die Luft und blitzten scharlachrot und metallisch grün und gelb auf. Sie schossen herum, wirbelten, jagten einander und verharrten dann in der Luft. Die Vögel waren wunderschön, ganz Bewegung und Anmut und … sie kehrten wieder zu Devoth zurück. Einer hockte sogar auf seiner ausgestreckten Hand. Sie hatten keine Angst vor ihm. Tatsächlich schienen sie um seine Aufmerksamkeit zu wetteifern.
    Als Devoth Rialus bemerkte, drehte er sich zu ihm um. Er lächelte, als der winzige Vogel von seiner Hand aufstieg und sich dann wieder niederließ. »Oh, da ist ja mein Gildenmann. Gefallen dir meine Vögel? Sie tanzen gerne mit mir. Sie lieben mich, wie du sehen kannst. Und ich liebe sie.«
    Rialus starrte die Vögel an und wusste nicht, was er antworten sollte. Er öffnete den Mund, doch es kam nur ein unentschlossener Atemzug heraus. Vielleicht würde er dieses Volk nie verstehen. Er wollte die Auldek widerlich, gemein und hässlich finden, doch er selbst war niemals von einem Geschöpf geliebt worden, das so schön war wie ein Kolibri. Auf diesen Gedanken folgte unverzüglich ein weiterer, vollkommen ungebeten und ohne jede Vorwarnung. Was ist, dachte er, wenn die Welt am Ende doch nicht für die Acacier gemacht ist? Wenn die Auldek sie mehr verdienen als wir?
    Wie zur Antwort grinste Devoth. In den paar Sekunden, in denen das Grinsen anhielt, war Rialus sich sicher, dass der Auldek seine Gedanken lesen konnte. »Weißt du, Gildenmann, wenn du lange genug so stillhältst, nistet vielleicht einer meiner Vögel in deinem Mund. Das würde keinem von uns guttun. Komm, wir haben viel zu besprechen. In zwei Wochen marschieren wir los.« Damit zuckte er mit der erhobenen Hand, und der winzige Vogel schwirrte abermals davon.

42

    Mena würde das merkwürdige Lied niemals vergessen, das Corinn Aaden an jenem schrecklichen Nachmittag zugeflüstert hatte, als er bewusstlos und blutend dagelegen hatte. Sie konnte sich nicht an die Worte erinnern; sie war sich noch nicht einmal sicher, ob es überhaupt Worte gewesen waren. Das Lied hatte eine Form gehabt, die eine Sprache gewesen sein könnte, doch diese Form war vage und unter einer Melodie verborgen, die sich jeder Beschreibung widersetzte. Es war Geräusch und Atem und Töne. Es umfasste mehr Stimmen als nur die von Corinn, war vermischt mit Musik und Ausatmen und Schluchzen und tausend Versprechen. Es war ihr ein Rätsel.
    Und den anderen auch. Einer der Diener fragte, ob sie die Königin von dem Jungen wegziehen sollten, aber Mena schüttelte den Kopf. Was auch immer da geschah, ob das Lied eine Totenklage oder ein Zauberspruch war – Corinn hatte das Recht, es zu singen. Das Recht einer Mutter. Vielleicht auch das Recht einer Königin.
    Als Corinn sich schließlich zurückzog und den Ärzten gestattete, sich um Aaden zu kümmern, keuchten diese erstaunt auf. Aadens Bauch war verheilt. Überall war Blut, doch so sehr sie auch suchten, sie konnten keine Wunden am Körper des Jungen finden. Blaue Flecken, ja, und oberhalb seiner Leiste befand sich eine etwas geschwollene Linie, die wie eine lang verheilte Wunde aussah, und Abschürfungen. Aber die Dolchwunde, deretwegen sie herbeigeeilt waren, hatte der Junge einfach nicht. Seine Verletzungen waren nicht schlimmer als nach einer etwas härteren Übungsstunde im Schwertkampf. Er schlief, atmete gleichmäßig, und sein Gesicht war so friedlich wie das eines jeden Kindes, das sich tief in seiner Traumwelt befand.
    »Er wird schlafen, bis er aufwacht«, sagte die Königin.
    »Aber wie …«, setzte einer der Ärzte an.
    »Die Schöpferin hat mir geholfen, ihn zu heilen«, sagte sie. »Preisen wir sie, und seien wir ihr dankbar.«
    Nachdem Mena sich mit eigenen Augen davon überzeugt hatte, dass Aaden nicht schwer verletzt war, hatte sie nach ihrer Schwester Ausschau gehalten. Corinn hatte dem Geschehen bereits den Rücken gekehrt und schritt davon, und Rhrenna beeilte sich, ihr zu folgen. Im Korridor holte sie sie ein, doch Corinn wollte sie noch nicht einmal ansehen. Sie murmelte etwas davon, dass sie sich das Blut abwaschen wolle. Das war alles. Damit ließ sie Mena, noch immer von Schmutz bedeckt, im Korridor stehen.
    Corinn hatte auch Elya keines Blickes gewürdigt, und das war grausam, denn die Vogelechse zitterte vor Sorge, sie hatte offensichtlich Angst, dass sie ihre Sache nicht gut genug gemacht hatte.

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