Acacia 02 - Die fernen Lande
geschlafen, als dir bewusst ist«, sagte sie trocken. »Entweder das, oder du hast die Kunst vervollkommnet, einen schnarchenden Betrunkenen nachzuahmen.«
»Sei nett zu mir«, sagte er und sah ein bisschen gekränkt aus. Er streckte einen Arm aus, um ihr die Haare zu zerzausen, aber sie bog den Kopf gerade rasch genug weg, um zu zeigen, dass sie nicht zu Scherzen aufgelegt war. Melio verstand. Er stützte beide Ellbogen auf die verwitterte Balustrade und ließ den Blick übers Meer schweifen. »Es war ziemlich viel los. Im Hafen, meine ich. Es sind mehr Boote angekommen und wieder losgefahren, als ich es je erlebt habe. Die Hafenpatrouille hat sie weit draußen ankern lassen und das Hin und Her überwacht.« Er sah sie an und wartete auf eine Antwort.
»Hmm«, sagte Mena. Sie sah ihn ebenfalls an, obwohl sie immer noch an Aaden dachte.
»Mena, Corinn hat mir heute neue Befehle gegeben. Wie ich sehe, hast du noch nichts davon gehört.«
»Was für Befehle?«
»Sie schickt die Elite los, um General Andeson in Teh zu unterstützen. Ich muss gleich zu einer Besprechung mit seinen Offizieren. Sie haben die Küste abgeriegelt, aber wirklich Sorgen macht ihnen das angrenzende Hügelland. Wenn die Numrek es bis dahin schaffen, werden sie nur sehr schwer zu finden sein. Sie könnten dort monatelang überleben, und wir würden auf der Jagd Vorräte und Materieal verbrauchen, während die Auldek sich in Marsch setzen – falls das tatsächlich geschehen sollte.«
»Und – wird es geschehen?« Die Frage war Mena verhasst, aber sie musste sie stellen. Sie hatte in den letzten Tagen so viel Gerede gehört, so viele Gerüchte, doch es war immer noch schwer zu glauben, dass ein so fernes Volk irgendwie eine Bedrohung für sie alle darstellen sollte.
»Die Königin scheint es zu glauben. Zumindest berichtet es die Gilde, und sie waren diejenigen, die die Neuigkeit überbracht haben. Im Augenblick ist es schwer, sie zu widerlegen. Sie beharren eisern darauf, dass es so kommen wird und dass die Auldek keinerlei Interesse an Verhandlungen haben. Sie haben gerade verhandelt, als dann alles drunter und drüber ging.«
Melio beendete den Satz zögernd; er reagierte damit darauf, wie Mena den Blick von seinem Gesicht abwandte. Er kannte sie gut, und deshalb wusste sie, dass ihm klar war, dass sie an Dariel gedacht hatte. Dariel war bei jenem Versuch, zu verhandeln, dabeigewesen. Was auch immer schiefgegangen war – er war mittendrin gewesen. Das alles war vor seinen Augen geschehen, vielleicht war es ihm geschehen.
Melio trommelte mit den Fingerspitzen auf die Balustrade, während er das Thema wieder aufnahm: »Wie auch immer, der Plan ist vernünftig. Das mit Teh, meine ich. Die Numrek sind schon hier. Sie sind wieder unsere Feinde. Wir haben wirklich keine andere Möglichkeit, als sie zu vernichten. Die Elite sollte dabei sein. Ich als ihr Hauptmann …«
»Sie bestraft mich dafür, dass ich nicht besser auf Aaden aufgepasst habe«, sagte Mena.
»Nein, das tut sie nicht. Sag das nicht. Du kennst doch deine Schwester«, setzte er an, doch dann winkte er ab und fing noch einmal neu an. »Du weißt, wie sie ist, wie sie sich verhält. Sie muss sich um viele, viele Einzelheiten kümmern. Die kommen zuerst. Ich bezweifle sehr, dass sie auch nur im Geringsten schlecht von dir denkt. Sie ist nur einfach kein Mensch, der sich an solche Kleinigkeiten wie Gefühle erinnert.«
Zum ersten Mal nippte sie an dem Glas mit dem Zitronenlikör. Nippte einmal daran und schüttete sich dann den gesamten Inhalt des Glases in den Rachen. Während sie sich mit einer Hand den Mund abwischte, sagte sie, als hätte sie Melios Worte überhaupt nicht gehört: »Sie glaubt, ich hätte zugelassen, dass Aaden niedergestochen wurde. Und sie hat recht. Genauso war es. Ich habe mit angesehen, wie es passiert ist.«
»Hör auf, Mena!« Er stellte sein Glas ab und drehte sie zu sich herum, so dass sie ihn ansehen musste. Eine Hand lag auf ihrer Schulter, glitt dann nach oben und legte sich um ihren Nacken und ihren Hinterkopf. »Ich sage das jetzt nur noch ein einziges Mal. Niemand wirft dir etwas vor. Nicht einmal Corinn. Sie glaubt vielleicht, dass sie dir Vorwürfe macht. Sie mag vielleicht sogar so handeln, aber in Wirklichkeit gibt sie sich selbst die Schuld. Sie hat die Numrek zu ihrer Leibgarde gemacht. Sie hat die Sicherheit ihres Sohnes in die Hände brutaler Feinde gelegt. Sag mir, dass du nicht schon immer gewusst hast, dass es falsch ist, sie
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