Acacia 02 - Die fernen Lande
nicht genau, woher ich das weiß, aber ich hatte immer das Gefühl, sie hat geglaubt, Vater sollte von nun an für sie leben. Dass er etwas von der Liebe, die er für Aleera empfunden hatte, auf sie übertragen sollte, nur auf sie. Ich weiß nicht, ob ich ihr das vorwerfen kann. Ich war zu jung, um mich auch nur an unsere Mutter zu erinnern. Für sie war der Verlust anders. Aber dann ist auch Vater gestorben. Das hat sie als Verrat empfunden. Und dann war da Igguldan, der ihre erste Liebe war, wie ich glaube. Er ist auch umgekommen. Und dann hat sie es noch nicht einmal geschafft, von Acacia zu fliehen, wie wir anderen. Ihr Wächter Larken hat sie an Hanish Mein verraten. Verstehst du? Jedes Mal, wenn sie jemandem vertraut hat … jedes Mal, wenn sie ihr Herz in die Hände eines anderen Menschen gelegt hat und diesen Menschen über ihr Schicksal hat entscheiden lassen … Und dann schließlich Hanish. Sie hat sich in ihn verliebt.«
»Nur um herauszufinden, dass er vorhatte, sie seinen Vorfahren zu opfern. Trotz ihrer Schönheit hat sie in der Liebe nicht gerade sehr viel Glück, was?«
»Dann erkennst du also das Muster?«
»Ja«, räumte er ein, »und ich weiß das alles auch. Aber im Leben von jedem von uns gibt es Tragödien. Das ist doch keine Entschuldigung.«
»Ich weiß«, sagte sie, »und Corinn würde es auch niemals als Entschuldigung vorbringen. Sie ist die Letzte, die so etwas tun würde.«
»Aber denk doch an die Quote! Aliver hätte sie abgeschafft; Corinn hat sie gerade wieder eingeführt. Es ist irgendwie traurig, dass wir anstelle des einen Monarchen einen anderen bekommen haben. Dass wir statt der einen Zukunft …«
»Melio? Psst. Bei dir hört sich etwas Kompliziertes ganz einfach an. Tu das nicht.« Sie war sich nicht sicher, ob er das glauben würde. Es war einfacher für ihn, wenn er die Dinge nur schwarz und weiß sah. Aber auf der Welt gab es mehr als Schwarz und Weiß. Viel mehr. Er war nicht vom selben Blut wie sie und Corinn, und sie konnte ihre Gefühle für ihre Geschwister nur bis zu einem bestimmten Punkt erklären. Es war kompliziert, zumindest für sie. »Ihre Fehler sind leicht zu erkennen, das weiß ich. Und sie hat Fehler, aber sie ist meine Schwester, Melio. Ich liebe sie. Sie ist ein Teil von mir. Trotzdem, ich würde ihre Stellung nicht wollen. Ich bete, dass sie lange lebt, und dass Aaden eines Tages ein starker Herrscher sein wird.«
Obwohl sie ihn nicht ansah, konnte Mena das schiefe Grinsen sehen, mit dem Melio diesen Gedanken wahrscheinlich aufnahm. »Und nicht du?«
»Nie. Ich würde eine solche Bürde nicht wollen.«
»Du setzt dein Leben aufs Spiel …«
»Du weißt genau, dass das etwas anderes ist. Es gefällt mir so. Was Corinn trägt, ist etwas ganz anderes. Ich würde die Krone nicht einmal annehmen, wenn man sie mir aufdrängen würde, möge das niemals geschehen.«
»Und Dariel? Was ist, wenn die Herrschaft eines Tages auf ihn übergeht?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Mena. Sie schwieg einen Moment. »Er hat nicht gegen Corinn um den Thron gekämpft, als er es hätte tun können. Er hat seine eigenen Dämonen, mit denen er sich herumschlagen muss. Er sucht nach seiner Bestimmung. Ich weiß, dass er etwas Großes tun will. Er hat davon gesprochen, aber ich weiß nicht, wo oder wie er es finden wird.«
Die Welt außerhalb ihres Zelts schickte sich an, ins Dasein zurückzudämmern, und sie erweckte dadurch andere zum Leben. Mena setzte sich auf. Sie wusste, dass es an der Zeit war, wieder ihre Rolle zu spielen. Ihre Finger krümmten sich, wollten das Schwert halten. Vorher jedoch musste sie sich erst um etwas Irdischeres kümmern. Sie kroch von der Schlafmatte zu dem Becken hinüber, das sie benutzte, um Melios Samen aus sich herauszuspülen. Dem Wasser wurde ein Kräuterpulver zugesetzt, das ein Arzt auf Acacia für sie gemischt hatte.
»Vielleicht solltest du das nicht tun.« Melio stützte sich auf einen Ellenbogen. »Warum nicht einfach abwarten?«
Mena maß das Pulver ab und rührte es in das Wasser. »Sei nicht albern. Wie würde das wohl aussehen, wenn ich mit einem dicken Bauch gegen Übeldinge kämpfe? Ich würde alle möglichen Tabus brechen.«
»Dann hör auf, gegen Übeldinge zu kämpfen«, erwiderte er, ohne auf ihren scherzhaften Ton einzugehen. »Du bist nicht die Einzige, die das tun kann. Lass jemand anderen das übernehmen. Nicht einmal Corinn könnte dir das vorwerfen. Wir sind jetzt seit fünf Jahren verheiratet, Mena. Lass uns
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