Accelerando
geschlüpft sind. Die
Produktionen sind Teil des kulturellen Erbes des zwanzigsten
Jahrhunderts, nur hat die Musikindustrie der Öffentlichkeit
dieses Erbe im letzten Jahrzehnt vorenthalten -Songs von Janis
Joplin, den Doors und ähnliche Musik. Geschaffen von
Künstlerinnen und Künstlern, die nicht mehr unter uns
weilen und sich folglich auch nicht gegen solche Machenschaften
wehren konnten. Als die Kartelle der Musikindustrie Pleite machten,
vagabundierten die Vertriebsrechte an dieser Musik frei herum. Ich
habe sie erworben, und zwar von Anfang an mit der Idee, diese Musik
der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen, sie
sozusagen der public domain zurückzugeben.«
Annette nickt einem der Bewacher zu. Der erwidert das Nicken und
murmelt eifrig in sein Kehlkopfmikro. »Ich habe an einer
Lösung für das Paradox zentraler Planungen gearbeitet und
nach Möglichkeiten gesucht, eine zentral geplante Enklave mit
einer Marktwirtschaft zu verbinden. Mein guter Freund Gianni Vittoria
hat mir vorgeschlagen, das Spiel mit Dachgesellschaften auf andere
Weise zu nutzen. Also habe ich die Musik nicht freigegeben, sondern
die Rechte verschiedenen Akteuren und Verbindungen innerhalb des
Netzwerks der Agalmic Holding überschrieben –
gegenwärtig sind das eine Million achtundvierzigtausend und
fünfhundertfünfundsiebzig Gesellschaften. Die Rechte
tauschen sie sehr schnell untereinander aus: Bei jedem Song bleiben
sie nicht länger als, äh, fünfzig Millisekunden bei
einer Gesellschaft. Sie müssen wissen, dass ich keineswegs der
Inhaber dieser Gesellschaften bin. Ich ziehe nicht einmal mehr
finanziellen Nutzen daraus, denn meinen Anteil an den Gewinnen habe
ich Pam urkundlich übertragen. Ich steige aus diesem
Geschäft aus. Gianni hat mir vorgeschlagen, stattdessen etwas zu
tun, das größere Anforderungen an mich stellt.«
Er nimmt noch einen Schluck Kaffee. Der Schlägertyp von der
Mafia der Musikindustrie starrt ihn finster an, genau wie Pam.
Annette, die an einer Wand lehnt, wirkt amüsiert.
»Vielleicht möchten Sie diese Sache unter sich
klären?«, fragt Manfred. Und an Glashwiecz gewandt:
»Ich nehme an, Sie stellen Ihren Versuch, meine Gesellschaften
durch Denial-of-Service- Attackenlahm zu legen, jetzt ein, ehe
ich das italienische Parlament auf Sie ansetze? Übrigens werden
Sie feststellen, dass der nominelle Wert der Urheberrechte, die ich
Pamela überschrieben habe – der Wert, mit dem diese beiden
Herren jene Rechte bemessen –, mehr als eine Milliarde Dollar
beträgt. Da dies weit mehr als neunundneunzig Komma neun Prozent
meines Vermögens ausmacht, schauen Sie sich wohl besser nach
jemand anderem um, der Ihr Honorar übernimmt.«
Glashwiecz steht vorsichtig auf. Der Gangsterboss starrt Pamela
an. »Stimmt das? Hat dieser kleine Scheißer Ihnen
IP-Rechte an Produktionen von Sony Bertelsmann Microsoft Music
überschrieben? Wir erheben Anspruch darauf! Sie regeln den
Vertrieb über uns, sonst handeln Sie sich riesige Probleme
ein!« Der zweite Mafioso stimmt ihm knurrend zu. »Denken
Sie dran: MP3-Dosis ist schlecht für Ihre Gesundheit!«
Annette klatscht in die Hände. »Wenn Sie meine Wohnung
jetzt bitte verlassen würden?« Aufmerksam wie immer
schwingt die Haustür von selbst auf. »Sie sind ’ier
nicht mehr willkommen!«
»Und das gilt auch für dich«, springt Manfred
Pamela hilfreich bei.
»Du Saukerl!«, zischt sie.
Manfred zwingt sich zu einem Lächeln. Dass er nicht mehr so
auf sie reagieren kann, wie sie es gern hätte, stimmt ihn
nachdenklich. Irgendetwas, was früher zwischen ihnen war, ist
verloren gegangen, klappt nicht mehr. »Ich dachte, du wärst scharf auf mein Vermögen. Erdrücken dich die
Lasten?«
»Du weißt genau, was ich meine! Du und diese billige
Euro-Nutte! Ich werde dich wegen Vernachlässigung deines Kindes
rankriegen!«
Sein Lächeln erstarrt. »Versuchs nur, dann verklage ich
dich wegen Verletzung von Patentrechten. Mein Genom, du weißt
schon.«
Pam ist aufrichtig konsterniert. »Du hast dein Genom
patentieren lassen? Was ist mit dem kühnen Kommunisten neuen
Typs passiert, der seine Informationen allen kostenlos zur
Verfügung gestellt hat?«
Manfreds Lächeln schwindet. »Scheidung, das ist
passiert. Und die Kommunistische Partei Italiens ist ins Spiel
gekommen.«
Sie dreht sich schnurstracks um und stolziert hoch erhobenen
Hauptes aus der Wohnung, den handzahmen Rechtsanwalt im Schlepptau.
Dabei knurrt sie etwas von zivilen Musterklagen und
Verstößen
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