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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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befasse, sagt sie sich. Gleich
darauf explodiert sie in so viele Richtungen zugleich, dass dabei
fast das hauseigene Breitband verschmort. Ein Teil von ihr nimmt sich
das komplizierte Kartenhaus aus Unternehmensstrukturen vor; ein
anderer überlegt, was schief gehen könnte; ein dritter (der
zu ihrem chaotischen, von Drüsen bestimmten
physisch-biologischen Ich gehören mag) denkt daran, wie
schön es wäre, Daddy wieder zu sehen, obwohl sie jetzt auch
leichte Vorbehalte hat. Eltern sollten keinen Sex haben – gibt
es nicht irgendein Gesetz, das es ihnen untersagt?
»Erzählst du mir was über die Franklins? Sind sie
verheiratet, oder leben sie allein?«
    Der 3-D-Drucker, der hochfährt, zischt leise, als er die
Wärme aus der Vakuumkammer der Hardware ins tiefgekühlte
Betriebssystem leitet. Tief in seinem Innern schafft er aus mehreren
Bose-Einstein-Kondensaten, die sich am Rande des absoluten Nullpunkts
bewegen, kohärente Atomstrahlen. Indem er sie mit
Interferenzmustern überlagert, erzeugt er ein Hologramm aus
Atomen – die perfekte Replikation eines ursprünglichen
Artefakts, detailgetreu bis ins letzte Glied – den atomaren
Aufbau. Hier gibt es keine unbeholfen agierenden Nanoteilchen, die
Schaden nehmen, sich überhitzen oder mutieren könnten.
Irgendetwas wird der Drucker in einer halben Stunde ausspucken, den
Klon irgendeines Originals, detailgetreu bis hin zum individuellen
Quantenzustand der atomaren Nuklei, aus denen es besteht. Die Katze,
scheinbar völlig unberührt von all dem, rollt sich
näher an die Schlitze heran, aus denen Abwärme dringt.
    »Bob Franklin ist zwei, drei Jahre vor deiner Geburt
gestorben. Dein Vater hat Geschäfte mit ihm gemacht, genau wie
deine Mutter. Jedenfalls hat er Teile seines Numens konservieren können, und seine Vermögensverwalter
versuchen, sein Bewusstsein zu neuem Leben zu erwecken, indem sie Bob
auf ihre Implantate herunterladen. Sie stellen ein Art Borganismus dar, einen kollektiven Organismus im Cyberspace, allerdings mit
Geld und Stil. Jedenfalls ist Bob seinerzeit ins
Raumfahrtgeschäft eingestiegen, und zwar mit Hilfe gewisser
finanzieller Zaubertricks, die ein Freund deines Vaters für Bob
ausgetüftelt hat. Und jetzt sind die Franklins dabei, ein
Raumhabitat zu schaffen, das sie ganz bis zum Jupiter transportieren
wollen. Dort können sie ein paar kleinere Monde auseinander
nehmen und damit beginnen, Helium-3-Raffinerien aufzubauen. Das ist
dieses CETI-Projekt, von dem ich dir vorhin erzählt habe. Aber
sie haben, langfristig gesehen, noch jede Menge weiterer Dinge vor.
Dazu musst du wissen, dass die Freunde deines Vaters den Funkspruch
geknackt haben – denjenigen, dessen Empfang allgemein bekannt
ist. Er enthält ein ganzes Paket Anweisungen dafür, wie der
nächst gelegene Router zu finden ist, der die Verbindung zum
galaktischen Internet herstellt. Und sie wollen dorthin, um mit
Aliens Kontakt aufzunehmen.«
    Das meiste davon ist Amber zu hoch – sie wird sich
später erkundigen müssen, was Helium-3-Raffinerien sind
–, aber die Vorstellung, ins All zu flüchten, hat einen
besonderen Reiz. Ein Abenteuer – das klingt verlockend. Amber
blickt sich im Wohnzimmer um, betrachtet es einen Augenblick lang als
eine Kapsel, eine kleine hölzerne Kapsel, tief eingebettet in
die Vision eines alltäglichen Amerikas, das so nie existiert
hat. Es ist das Amerika, in dem ihre Mutter sie aufziehen will. Und
es ähnelt einem unförmigen Testkäfig à la
Skinner, in dem sie so konditioniert werden soll, dass sie sich
»normal« verhält.
    »Macht das Leben auf dem Jupiter Spaß?«, fragt
sie. »Ich weiß, dass er groß ist und keine besonders
dichte Atmosphäre hat, aber ist dort irgendwas los? Gibt’s
dort Aliens?«
    »Wenn du irgendwann Aliens kennen lernen willst, ist das der
wichtigste Ort, den du aufsuchen musst«, erwidert die Katze.
Derweil rasselt der Drucker und spuckt einen falschen Pass aus (der
so gebraucht aussieht, dass er überzeugend wirkt),
außerdem ein kunstvolles Metallsiegel, in das etwas in
arabischer Schrift eingraviert ist, und einen Impfstoff mit
Breitenwirkung, der genau auf Ambers noch nicht voll entwickeltes
Immunsystem abgestimmt ist. »Befestige das Ding an deinem
Handgelenk, unterzeichne die drei obersten Kopien, steck sie in den
Umschlag, und dann lass uns losziehen. Wir müssen rechtzeitig
den Flieger erwischen, Sklavin.«
     

     
    Sadeq isst gerade zu Abend, als die erste Klageschrift in der
Umlaufbahn des Jupiters

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