Accra: Roman (German Edition)
herausfinden, was mit Eben passiert ist«, erklärte sie.
Auf das, was nun geschah, war Dawson nicht vorbereitet. Mosquito drehte sich um und rannte weg. Seine schlaksigen Beine bewegten sich erstaunlich schnell. Dawson lief ihm nach. Bald schwenkte der Junge scharf nach rechts und preschte an einer Reihe von Bretterbuden und einer Gruppe von Schlachtern vorbei, die Fliegen von ihrem frischen roten Fleisch verscheuchten. Dawson war sicher, dass Mosquito zur Südseite des Marktes wollte, wo er im Straßengewirr abtauchen konnte, aber vorher stieß der Junge auf ein Hindernis. Eine Mengehatte sich um einen Kartenspieler versammelt, der wie ein Wasserfall auf die Leute einredete. Mosquito bemühte sich, durch das Gedränge zu kommen, aber da hatte Dawson ihn schon eingeholt. Der Kartenspieler brüllte Mosquito unflätige Ausdrücke zu, weil dieser seine Zuschauer störte.
Dawson packte den Jungen beim Arm und führte ihn in eine nahe Seitengasse.
»Warum läufst du vor mir weg?«, fragte Dawson, der genauso außer Atem war wie Mosquito.
Der Junge hielt den Kopf gesenkt und von Dawson abgewandt. Er troff vor Schweiß und zitterte.
»Setz dich einen Moment«, sagte Dawson ruhig.
Mosquito setzte sich hin, und Dawson hockte sich neben ihn.
» Wote Twi?«
Als der Junge nickte, sprach Dawson weiter.
»Warum bist du weggelaufen?«
»Sir, ich dachte, Sie wollen mich verhaften.«
»Hast du denn etwas ausgefressen?«
»Nein, Sir.«
»Wieso läufst du dann weg?«
Hierauf hatte Mosquito keine Antwort.
»War Ebenezer ein guter Freund von dir?«, fragte Dawson.
»Ja, Sir.«
»Es tut mir sehr leid.«
Mosquito schwieg und starrte weiter auf den Boden.
»Wann hast du ihn zum letzten Mal gesehen?«
»Gestern Morgen. Als ich abends zum Schlafplatz kam, war er nicht da. Ich habe Issa gefragt, wo er ist, aber er wusste es nicht.«
»Wer ist Issa?«
»Er ist der Anführer unserer Gang.«
»Und wann haben Issa oder die anderen Ebenezer zum letzten Mal gesehen?«
»Ebenezer hatte die erste Wache. Sie haben ihn gesehen, bevor sie eingeschlafen sind.«
»Wache?«
»Wir bewachen uns abwechselnd, sonst kommt jemand und klaut uns unser Geld.«
»Was habt ihr gemacht, als ihr saht, dass Ebenezer weg war?«
»Wir haben ihn gesucht. Wir haben ihn gerufen, aber er ist nicht gekommen.«
»Kennst du irgendjemanden, der Ebenezer umbringen wollte?«
»Nein, Sir.«
»Kennst du einen Tedamm?«
»Klar, den kennt jeder.«
»Hatte Ebenezer Angst vor ihm?«
»Nein, überhaupt nicht. Ebenezer hatte vor keinem Angst.«
»Wo finde ich diesen Tedamm?«
Mosquito schüttelte den Kopf. Auf diese Frage würde Dawson also keine Antwort bekommen. Er stand auf und streckte Mosquito die Hand hin, die der Junge ergriff und sich aufhelfen ließ.
»Oh, meine Güte!«
Sie drehten sich um, als Patience um die Ecke zu ihnen gelaufen kam. Sie war völlig außer Atem.
»Ich habe versucht, hinter euch herzulaufen.« Sie japste. »Aber ich bin noch schlechter in Form, als ich dachte.«
Dawson lächelte. »Atmen Sie erst mal tief durch.«
Doch dazu hatte Patience keine Zeit. »Ach, Mosquito, wieso bist du denn bloß weggerannt? Haben ich dir nicht gesagt, dass man nie vor einem Polizisten wegläuft?«
»Doch, Ma’am, haben Sie.«
»Aber du hast es vergessen? Wächst du so schnell, dass dein Verstand nicht mitkommt?«
Mosquito grinste beschämt.
»Ist Issa jetzt an eurem Schlafplatz?«, fragte Dawson ihn.
» Mepaakyεw, dabi . Erst heute Abend.«
»Wir können mit dem Jungen zu ihrem Platz gehen, dann sehen Sie, wo sie schlafen«, schlug Patience vor. »So finden Sie die Stelle leichter, falls Sie heute Abend wieder dorthin wollen.«
»Gute Idee. Komm, Mosquito, gehen wir. Und diesmal meine ich gehen, nicht rennen.«
24
Mosquito zeigte Dawson seinen Platz in der Knutsford Avenue. Tagsüber waren die Läden geöffnet, und es herrschte reger Fußgänger- und Autoverkehr auf der Straße. Entsprechend schwer vorstellbar war es, dass dieses Gebiet nachts zu einem riesigen offenen Schlafsaal für Hunderte von obdachlosen Jugendlichen wurde.
Nachdem er sich von Patience und Mosquito verabschiedet hatte, rief Dawson Chikata an, um ihm zu erzählen, was passiert war und dass sie beide abends Issa an seinem Schlafplatz besuchen sollten.
»Ich sorge dafür, dass wir einen Fahrer kriegen«, versprach Chikata.
Da ein Besuch bei seinem Bruder längst überfällig war, beschloss Dawson, dass er die Zeit bis zum Abend dafür nutzen wollte. Cairo
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