Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
Wissenschaftler zum Medienkasper zu verkommen, ist eine reale. Die Gefahr, zum elfenbeinernen Gelehrten zu werden, der auch nach Jahren des exklusiven Forschens keine wahrnehmbaren Signale nach draußen sendet, ist ebenso real.
»Der Intellektuelle sollte öffentlich nur dann intervenieren, wenn das Tagesgeschehen entgleist«, empfiehlt Habermas. Rainer Forst, Jahrgang 1964, der bei ihm promoviert hat und als Vertreter der jüngsten Generation der »Frankfurter Schule« gewissermaßen ein »Urenkel Adornos« ist, genießt in der philosophischen Welt zweifellos größtes Ansehen. Seit Jahren reflektiert und schreibt er über Gerechtigkeit und Toleranz, und wenn man seine akademischen Werke liest, kommt man zu dem Schluss, dass er die medial geführten Debatten um Integration und Zukunft des Sozialstaats längst im Kiesbett der Deutschen Bahn wähnen muss. Wieso aber ist von ihm öffentlich so gut wie nichts zu hören? Weil er um seine Reputation fürchtet, wenn er sich in die feindliche Medienwelt hinausbegibt? Weil er jegliche Intervention sowieso für aussichtslos hält?
Es zeugt von wohltuender Bescheidenheit und Vernunft, dass der Intellektuelle im frühen 21. Jahrhundert sich nicht mehr anmaßt, das Rad der Geschichte in eine komplett andere Richtung herumreißen zu wollen. Aber den Anspruch aufzugeben, Sand im Getriebe zu sein, gleicht einer vorauseilenden Kapitulation.
Gerade in Zeiten, in denen Debatten immer hysterischer geführt und immer schneller von der nächsten abgelöst werden, braucht es Intellektuelle, die aus echtem inneren Antrieb mit Leidenschaft, Beharrlichkeit und Verantwortungsgefühl intervenieren. Der kritische Geist darf den öffentlichen Raum nicht kampflos den Krachmachern und Schaumschlägern überlassen. Ebenso wie ihn der Trend, Fragen der Willensfreiheit und des sozialen Miteinanders entweder an Hirnforscher oder Theologen zu delegieren, nicht kalt lassen kann. Will der Intellektuelle nicht zum Zaungast werden, muss er riskieren, sich an unserer Medienöffentlichkeit die Hände schmutzig zu machen. Gleichzeitig muss er genügend Weitblick und innere Widerständigkeit ausbilden, um sich nicht verheizen zu lassen. Niemand behauptet, dass dieser Weg ein einfacher ist.
»Normale Zeiten sind schlechte Zeiten für Intellektuelle«, schreibt Ralf Dahrendorf in seinen Versuchungen der Unfreiheit . Wer den Bankenkollaps, einen mehr oder weniger bankrotten Sozialstaat und die nicht gelösten Integrationsfragen für Kennzeichen von gesellschaftlicher Normalität hält, mag diesen Satz als Rechtfertigung dafür nehmen, weiter seine einsamen Pirouetten des Geistes zu drehen.
Wer dies nicht tut, soll die Ballettschuhe ausziehen und in den Ring steigen.
Willkommen im Kindergarten!
Europa redet von der Energiesparlampe. Thea Dorn redet vom Zeitalter der Lichter.
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen, dennoch zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Tlormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, derfür mich die Diät beurteilt u. s. w., so brauche ich mich ja selbst nicht zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Dass der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außerdem dass er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, dass diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperrten, wagen durften: so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen, allein zugehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einige Mal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.
Leider stammt dieser famose Kommentar zur Neigung des Staates, den Bürger fest an die Hand zu nehmen, und zur Neigung des Bürgers, sich fest an die Hand nehmen zu lassen, nicht von mir. Er stammt von Immanuel Kant
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