Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
zu beobachten sind. Beflissen reichen die Bevormunder aus Brüssel und Berlin den 30-jährigen Frauen, die sich als »neue deutsche Mädchen« verstehen und 40-jährigen Männern, die darüber grübeln, warum sie nicht erwachsen werden, die Hand zum Teufelskreis.
»Wenn die Gesellschaft eine beträchtliche Anzahl ihrer Mitglieder zu bloßen Kindern aufwachsen lässt, unfähig, sich durch vernünftige Betrachtungen etwas abseits liegender Motive bestimmen zu lassen, dann hat sie sich selbst für die Folgen zu tadeln«, schrieb John Stuart Mill im 19. Jahrhundert, das sich bei aller romantischen Schwärmerei durch entschiedene Emanzipierungsbestrebungen des Bürgertums auszeichnete. Vom liberalen Stolz, der nicht nur den britischen Vordenker fordern ließ: »Man kann einen Menschen nicht rechtmäßig zwingen, etwas zu tun oder zu lassen, weil dies besser für ihn wäre, weil es ihn glücklicher machen, weil er nach Meinung anderer klug oder sogar richtig handeln würde« – von diesem Stolz ist heute wenig zu spüren.
Lammfromm machen die allermeisten jede Verrenkung mit, die der grassierende Bio- und Ökowahn ihnen abverlangt. Und diejenigen, die widerstehen, tun dies im Modus des gewitzten Teenagers, der sich freut, den strengen Herbergsvater ausgetrickst zu haben: Seit meinen Schultagen habe ich keine vergleichbaren Ansammlungen auf dem Klo rauchender und giggelnder Menschen gesehen wie seit Einführung des Rauchverbots.
Einige wenige Selbstbewusste wie Helmut Schmidt rauchen mit Grandezza auch dort weiter, wo nach Auffassung des Gesetzgebers kein Stengel mehr glimmen soll. So sympathisch dies auf den ersten Blick ist – eine schleichende Unterhöhlung des Legalitätsprinzips stellt auch dieses Verhalten dar. (Wie Helmut Schmidt selbst erkannte, indem er versprach, sich fürderhin an das Gesetz halten zu wollen – eben weil es Gesetz ist.)
Im zitierten Aufsatz weist Kant darauf hin, dass der Bürger als Privatmensch zu gehorchen hat. Als öffentlicher Mensch hat er jedoch nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, Gesetze zu kritisieren, die er als widersinnig erkennt. Und – muss man aus heutiger Sicht ergänzen – in einer Demokratie hat er sogar die Chance, dass solch widersinnige Gesetze rückgängig gemacht werden.
Anstatt dass jeder – im offen oder heimlich Illegalen – der Freiheit eine Kippe anzündet, sollten die Bürger der EU lieber politisch dafür kämpfen, dass Liberté toujours nicht zum bloßen Werbeslogan verkommt. Die Regierungen umgekehrt sollten sich hüten, bei den Bürgern den berechtigten Eindruck entstehen zu lassen, Gesetze seien die Paragrafen einer schikanösen Hausordnung – und nicht die Minimalregeln, die nötig sind, um ein mehr oder minder friedliches und freiheitliches Miteinander zu garantieren.
Die Tendenz, Europa in einen Kindergarten zu verwandeln, greift ebenfalls die Fähigkeit des Einzelnen an, Situationen richtig einzuschätzen und sich dementsprechend zu verhalten. Wenn jeder Bereich des Lebens von einem Gesetz reguliert wird – wo soll der Einzelne den nötigen Spielraum haben, seine Urteilskraft zur Anwendung zu bringen und so zu schärfen? Was spricht dagegen, den einzelnen Restaurantbesitzer, den einzelnen Gastgeber beurteilen zu lassen, ob – und wenn ja: wann und wo – in seinem Etablissement, auf seinem Galadinner geraucht werden darf? Wäre es nicht ein Gebot des Respekts und der Gastfreundschaft, einen neunzigjährigen Altkanzler mit seiner Zigarette nicht vor die Tür zu schicken?
Eltern wissen, dass es klug ist, die lieben Kleinen ihre Differenzen im Sandkasten erst einmal selbst austragen zu lassen. Politiker sollten wissen, dass mit konfliktunfähigen, urteilsschwachen, ungezogenen und verängstigten Kindern kein Staat zu machen ist. Zumindest kein demokratischer.
Im Europa des 20. Jahrhunderts ließen menschenverachtende Regimes die Lichter ausgehen. Es wäre ein finsterer Treppenwitz, wenn im 21. Jahrhundert der Aufklärung abermals der Strom abgedreht würde. Von wohlmeinenden Fürsorgern...
Schneller, höher, weiter!
Thea Dorn hat Verständnis für Doping im Sport Kein Verständnis hat sie für bigotte Empörung .
In einer gemeinsamen Presseerklärung haben das Museum Ludwig in Köln und die Pinakothek der Moderne in München bekannt gegeben, dass sie die Werke des Malers Jörg Immendorff aus ihren Sammlungen entfernen werden. Man wolle keine Kunst ausstellen, die unter dem Einfluss verbotener Substanzen wie Kokain entstanden
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