Achilles Verse
Läufer-Urin steigt garantiert bis ins Büro des Ministers.
Armer Fettmops Fischer. Vor ein paar Jahren war er selbst noch einer von ihnen, zäh im Training, rank um die Hüfte, respektiert für seine Ausdauer. Und jetzt? Allein am teuren Herd im Grunewald, über frühere Heldentaten sinnierend: Früher ein Kerl, dann doch zurück zum willensschwachen Moppel-Ich. Nur ein übergroßes Ego kann die Depression verhindern.
Wer einmal anfängt zu laufen, darf nie wieder aufhören. Sonst trifft einen der Spott der ganzen Welt. »Naaa«, fragt Mona lauernd, wenn ich mal zwei Tage nicht im Unterholz war, »wo bleibt denn unser Trainingseifer?« Spätestens drei Stunden später trabe ich los, und wenn’s nur einmal um den Block ist. Schwach sind die anderen.
Laufen ist Psycho-Krieg, zwischen dem Läufer und seinen Mitmenschen. Und da siegt nur der Mentaliban. Seine Frühjahrsoffensive ist der Berliner Halbmarathon. Schonungslos kommt die Wahrheit ans Licht. Wer hat sich im Winter tatsächlich durch eiseskalte Nächte geschleppt? Und welcher Sonntagsläufer hat das Blütenweiß seiner Schuhe über den Winter gerettet und trabt erst seit zwei Wochen wieder? Berlin Anfang April ist die Generalprobe: Wer die versemmelt, kann die volle Distanz in Hamburg gleich vergessen.
Genau deswegen macht mir der Halbmarathon Angst. Ich bin in den letzten Monaten nie so richtig nach Uhr gelaufen, sondern lieber gefühltes Tempo. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie schnell ich sein könnte. Außerdem quält mich die linke Hüfte seit Wochen. Wahrscheinlich brauche ich neue Schuhe. Aber Mona bringt mich um, wenn ich schon wieder mit neuen Tretern ankomme. Ich fürchte die Zeitnahme. Ich will nicht verglichen werden. Schon gar nicht mit diesen Laufzombies, die seit Tagen die Stadt bevölkern. Die ganz Exhibitionistischen tragen selbst beim Shopping noch ihren gelben Chip am Schuh. Könnte ja irgendwo in der Stadt eine Zeitmess-Matte herumliegen.
Zum Start reihe ich mich optimistisch am Ende von Block B ein. Es geht bis E, aber da hinten watscheln nur die Stock-Enten. Es ist schwer, beim Rennen die richtige Gruppe zu erwischen. Zu weit vorn ist man von keuchenden Ehrgeizlingen umzingelt, zu weit hinten dominiert der japsende Trampel.
»Kümmere dich nicht um die anderen«, hatte Mona gesagt: »Das ist dein Rennen, Achim, nur deines.« Mona hatte, wie immer, Recht. Ich setze den Tunnelblick auf. Nein, ich rege mich nicht über die verdammten Rentnerinnen auf, die sich am Start immer
viel zu weit nach vorn mogeln und die ersten fünf Kilometer zum Granufink-Slalom machen. Ja, ich konzentriere mich allein auf mich. Fünf Minuten pro Kilometer, das ist der Plan.
Startschuss. Sofort konstanter Schritt. Clockwork Achim. Ich schwebe. Die Straße ist mein Tempel. Jeder Kilometer wird mit 4:55 Minuten abgespult. Die kleine Blonde und die lange Rothaarige vor mir haben die gleiche Marschtabelle. Bei jedem Kilometer guckt die Blonde auf ihre Uhr und sagt: »Exakt.« Die Rote nickt. »Running Gag« steht auf ihren Hemden. Frauen mit Tempomat – endlich hat die Evolution mal nachgedacht.
Meine beiden Hasen laufen perfekt. Die Samba-Heinis trommeln für mich. Die Menschen jubeln allein mir zu. Die Sonne scheint nur meinetwegen. Bei Kilometer acht trotten am Straßenrand die Ersten, mit hängenden Köpfen. Ich liebe euch, ihr Sportangler. Jeder Spaziergänger ist Mental-Doping für mich. Schön, dass eure Beine muskulöser sind und eure Klamotten teurer. Trotzdem seid ihr nur Walker.
Mona und Karl warten vorm KaDeWe. Zum Glück versteht meine Familie etwas von Benimm. Sie klatschen ein bisschen und rufen: »Super, Achim.« Das reicht auch. Wie peinlich ist dagegen das Provinz-Publikum mit seinen türgroßen Pappschildern: »Mama Gertrud, Kevin und Samantha grüßen Papa Kalle aus Detmold. Du bist der Größte.« Kaum erschüttert das Stampfen eines untersetzten Brontosaurus mit Trinkgürtel den Asphalt, quietscht Gertrud: »Ja, Kalle! Los, Kalle! Schneller, Kalle!« Wahrscheinlich läuft Kalle nur, um seine Gattin noch einmal so zu hören.
Nach 21 Kilometern federe ich elegant durchs Ziel. Auf den letzten Kilometern habe ich noch etwas aufgedreht, mit dem Tempo gespielt, die Häschen mal eben stehen lassen. Meine Beine fühlen sich gut an. Die Medaille macht sich gut auf meiner Heldenbrust. Ich steige über ausgepumpte Leiber und überhöre das erbärmliche Würgen der Gestalt, die sich in den Zaun krallt. Es ist ein Tag des Triumphes. Für den
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