Achsenbruch
was ansehen!«
Der Freund, inzwischen wunden Fußes, maulte: »Selbst bei der Bundeswehr war nach fünfzehn Kilometern Schluss.«
Klemm lächelte: »Aber jetzt hast du weder Rucksack noch Gewehr dabei. Komm mit.«
Sie zog ihn zwischen zwei Häusern in einen engen Nebenweg, der talwärts scheinbar nur zu Kuh- und Pferdeweiden führte. Doch dann ging es in Windungen bergauf, der Weg mauserte sich nach und nach zu einer Straße. Und plötzlich bog nach links eine andere ab: der Charlottenweg.
»Du willst du mir jetzt doch nicht etwa das Haus mit dem Bombenschaden zeigen, oder?«
»Nein, Süßer«, sagte Kathrin und hängte sich erst einmal, Trost spendend, an seinen Hals. »Geht gar nicht. Das hier ist das andere Teilstück – und da bin ich noch nie gewesen.«
Sie zerrte ihn weiter. Der Hang rechts war zugebaut. Mäuerchen und Hecken versperrten die Sicht auf geräumige Grundstücke mit teuren Eigenheimen, links sah man über ein grünes Tal hinweg. Und dann gelangten sie an das tote Ende des Weges, das in U-Form von Gebäuden umarmt wurde, die nicht zum sozialen Wohnungsbau gehörten.
»Und was willst du hier?«
»Nur mal gucken.«
Klemm ging auf jede Haustür zu, bis sie die Namen der Bewohner von dezenten Klingelschildern ablesen konnte: »Kuckma, hier wohnt der Tippscheinkönig, der deinen ollen Fußballverein sponsert.«
Der Freund lächelte gequält: »Toll. Mit diesem Wissen kann ich beruhigt sterben.«
»Ruhig, Brauner«, lächelte Klemm und tätschelte dem Gestressten den Hals wie einem ungehorsamen Gaul. »Nur noch das letzte Haus, das da quer im Weg steht.«
Auch dieses Gebäude war alles andere als ein Reihenhaus mit fünfeinhalb Metern Breite und brauchte den Vergleich mit den anderen protzigen Kästen der Straße nicht zu scheuen.
»Bin nur neugierig, wer hier wohnt.«
Den Weg durch den Vorgarten konnte Kathrin sich sparen, denn der Hausbriefkasten hing an einem der Pfeilerchen, die den Vorgartenzaun stabilisierten.
»Verdammt!«
»Was ist denn?«
»Lass uns lieber gehen.«
Erst zwanzig, dreißig Meter weiter drehte sie sich um, blickte zu dem besagten Haus zurück und flüsterte: »Dieses Attentat am Montag – vielleicht war das nur eine Verwechslung.«
»Wieso?«
»Wenn man einem, der die Ecke nicht kennt, mit der Autobombe in den Charlottenweg schickt, um das letzte Haus in die Luft zu jagen, und wenn dieser Mensch dann die falsche Einfahrt wählt, dann landet er gar nicht bei der Sonnenschein.«
»Sondern?«
»Bei Potthoff, diesem Baudezernenten. Vielleicht war er ja das eigentliche Ziel!«
Sie zog ihr Handy und suchte eine Nummer heraus.
»Wen willst du anrufen?«
»Lohkamp.«
Sanft entwand er ihr das Telefon: »Kathrin, wenn du jetzt deinen Boss anrufst, kannst du das freie Wochenende vergessen. Bitte!«
Kathrin Klemm rang mit sich und ihr Liebster schickte ein gutes Argument hinterher: »Der Mann wohnt Montag bestimmt auch noch hier.«
»Also gut – du hast Recht!«
Sonntag
74
Der Sonntag brachte den von der Dauerhitze gepeinigten Menschen endlich etwas Erleichterung. Grauer Himmel überzog das Ruhrgebiet, die Temperatur fiel unter die Zwanzig-Grad-Marke und am späten Vormittag begann der Regen, den Staub von den Straßen zu spülen. Bäume, Blumen und Kleingärtner gerieten in Verzückung und durch die stickige Dachstube im PEGASUS-Hauptquartier wehte ein angenehm kühles Lüftchen.
»Komm, Kalle, steh auf. Frühstück bei Karin und Klaus!«
Mühsam öffnete Magers ältester Sohn die Augen. In den beiden letzten Nächten war sein Schlafbedarf eindeutig zu kurz gekommen. Es war doch Sonntag und eigentlich hatte er richtig ausschlafen wollen.
Doch dann wurde er hellwach. Simone hatte sich zum Wecken noch einmal eng an ihn gekuschelt. Frisch geduscht roch ihre Haut so verlockend, dass alles andere nebensächlich erschien. Seine Hand tastete nach ihrer Brust, aber Sim glitt wieder aus dem Bett: »Dafür ist später noch genug Zeit!«
Als er merkte, dass sie sich nicht erweichen ließ, verschwand er unter der Dusche und erledigte alles Notwendige im Schnelldurchgang. Zehn Minuten später spazierten sie mit nassen Haaren über den Hof zum Nachbarhaus und setzten sich an den gedeckten Tisch.
»Endlich!«, rief Theo, der hinter seinem vorbereiteten Teller saß. »Ich habe solch einen Hunger, aber ich durfte ohne euch nicht anfangen.«
Gierig griff er nach seinem Brötchen. Das Backwerk war mit einer solch dicken Schicht Schokostreuseln bedeckt, dass man damit den
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