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Achsenbruch

Achsenbruch

Titel: Achsenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Junge
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waren die eigentlich geblieben?
    Er dachte nach und kam zu dem einzig möglichen Ergebnis. Au, verdammt! Das würde nicht einfach sein …
    Eine Zigarette und einen Schnaps später stand er vor dem Hinterhaus und drückte den Klingelknopf. Lange Sekunden später hörte er drinnen Schritte. Sie hielten an und die Plastikklappe, mit der Mechthild von innen den Spion zu verschließen pflegte, schabte über das massive Holz.
    »Was willst du denn hier?«
    »Tag auch! Sag mal, stehen im Keller noch ein paar alte Kisten, die ich nicht abgeholt habe?«
    Lange Pause. Mach schon, dachte er und lächelte in das Glasauge, durch das sie ihn mit Sicherheit intensiv beobachtete. »Ist wichtig.«
    »Ach, auf einmal? Seit Jahren steht das Zeug da herum und jetzt plötzlich brauchst du es?«
    »Tut mir leid«, rief er und versuchte, seinem Gesicht den Ausdruck von Reue und Zerknirschtheit zu verleihen. »Aber können wir uns nicht direkt unterhalten statt durch die geschlossene Tür?«
    Keine Antwort. Der Bärtige überlegte. Am liebsten hätte er die Hände gehoben und geschrien: »Ich bin unbewaffnet!« Aber für solche Späße hatte seine Exgattin noch nie Verständnis gehabt.
    Endlich wurden die Stahlriegel verschoben, mit denen die Tür oben und unten gesichert war. Mechthilds Angst vor nächtlichen Überfällen wuchs von einem Geburtstag zum nächsten immer weiter an. Sekunden später stieß Metall auf Metall und das superteure Hochsicherheitsschloss wurde geöffnet. Ein letztes Zögern, dann zog Mechthild die Tür auf.
    »Tag«, sagte er und musterte sie unwillkürlich. Sie hatte eine Häkelstola um die Schultern geschlungen, trug ein dunkles, fast bodenlanges Kleid aus samtartigem Stoff, der mit bunten bulgarischen Folkloreapplikationen gesäumt war, lilafarbene Wintersocken und weiße Gesundheitslatschen, um die Jesus sie beneidet hätte. »Schön, dich zu sehen.«
    »Spar dir deine Lügen«, konterte sie. Ihre Stimme klang noch härter, als er sie in Erinnerung gehabt hatte, und ihre Augen blickten kalt. »Geh in den Keller und hol dir das Zeug. Aber mach voran!«
    Das tat er auch, denn falls sie die Geduld verlöre, würde sie ihm die Tür vor der Nase zuschlagen, bevor er alles oben hatte.
    »Danke«, sagte er, als er drei schwere Umzugskisten vor ihre Tür geschleppt hatte. Dann beeilte er sich, sie durch den Nieselregen ins Vorderhaus zu tragen. Ächzend wuchtete er sie in sein Filmmuseum. Ließ sich, in Schweiß gebadet, auf den Drehstuhl sinken und betrachtete die Beute: zugestaubt, mit Spinnweben behaftet, die nach dem kurzen Transport durch den Regen an den Außenwänden der Kartons klebten. Einen Calvados später begann er zu suchen.
    Nach einer guten Stunde schaute Karin nach, ob ihr Gatte noch lebte. Mager saß auf dem Boden, um ihn herum stapelten sich die alten Videokassetten.
    »Wo hast du die denn ausgegraben?«
    »Bei Mechthild.«
    »O je – war’s schlimm?«
    »Es ging. Sie hat mir weder das Gesicht zerkratzt noch hundert Euro Lagergebühren verlangt.«
    »Und was suchst du, verflixt noch mal? Wir würden dich gerne heute noch mal zu Hause sehen.«
    Er nickte, beugte sich über die nächste Kiste und zog triumphierend einen Stapel CDs heraus: »Genau die habe ich gesucht!«
    »Und was ist da drauf?«
    »Die alten Fernsehberichte. Warte. Neunzig, einundneunzig, zweiundneunzig – ja!«
    Er sprang auf und warf Kalles Laptop an. Karin stand ungeduldig daneben und unterdrückte mühsam eine Explosion. Der Sonntag sollte Familientag sein. Aber wenn Klaus-Ulrich das Jagdfieber gepackt hatte, half gar nichts mehr.
    Jetzt drückte er das CD-Fach auf und schob die Scheibe hinein. Der Rechner rödelte vor sich hin, dann tauchte auf dem Monitor eine Dateienliste auf. Mager fräste sie mit dem Cursor von oben nach unten durch und ließ die Maus endlich zuschlagen. Einen Wimpernschlag später präsentierte der Bildschirm eine Brücke, die über eine vierspurige Straße führte. Rechts dahinter erkannte Karin einen mehrstöckigen Ziegelbau und von weit links hinten schimmerte in Blau und Orange ein Betonmassiv herüber.
    »Mensch, ja, die Universitätsstraße! Die Brücke über die Markstraße. Der Grunewald . Und das Papageienhaus. Was suchst du?«
    »Siehst du sofort!«
    Streifenwagen, Polizisten, rot-weiße Flatterbänder. Schnitt. In Großaufnahme zwei Hände, die Dynamitrollen in Bohrlöcher stopften. Mehrere Kabel, die sich zu einem Strang vereinigten, der über die Straße auf den Betrachter zulief. Ein

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