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Achsenbruch

Achsenbruch

Titel: Achsenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Junge
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kleine Junge hat mir was gezeigt.«
    »Was?«
    »Dass es so, wie es ist, bei uns nicht weitergehen kann. Wir haben dieses Haus, wir kommen mit unserer Kohle hin und wir haben einen tollen Sohn. Eigentlich könnten wir es doch richtig gut haben. Aber – mir war bis heute nicht wirklich bewusst, welch ein Glück ich mit euch habe.«
    Sie schwieg. So wie jetzt hatten sie seit Ewigkeiten nicht mehr zusammen gesessen. Und so hatte er noch nie geredet.
    »Hömma«, sagte er plötzlich, »dieser Job an der Uni – willst du ihn wirklich?«
    Au, verdammt, dachte sie. Jetzt wird’s heikel.
    »Ja«, sagte sie. »Ich habe bei dem Prof angerufen und noch ein paar Fragen zu den konkreten Aufgaben gestellt.«
    »Dein Eindruck?«
    »Ganz nett. Und die Arbeit schaffe ich.«
    »Kannst du den Job haben?«
    »Das entscheidet er doch nicht alleine. Ich muss mich erst einmal ordentlich bewerben. Und ob der Personalrat auf die Körbchengröße achtet …«
    Er musste lachen – der Stich saß. Ein letztes Zögern, dann sagte er: »Bewirb dich.«
    »Bist du sicher, dass du das willst? Mit allen Konsequenzen?«
    »Ja.«
    »Und warum?«
    »Vielleicht – ich möchte nicht, dass du unglücklich bist.«
    Auch Kalle war froh, dass er diesen Arbeitstag hinter sich hatte. Vorsichtig scherte er in die Fahrzeugkolonne ein, die sich langsam in Richtung Westen schob. Seit sie begonnen hatten, die große Brücke zwischen Westfalenhalle und Universität umzubauen, gab es oft kein Durchkommen mehr. Und es würde noch Jahre dauern, da alles bei laufendem Verkehr passieren musste. Die B 1 konnte man einfach nicht durch die Vororte umleiten.
    Ein Blick auf die Uhr – vier vorbei. Simone musste schon zu Hause sein. Mal sehen, ob sie Zeit hat. Diesen Abend wollte er nicht allein in seiner Dachstube verbringen. Vorsichtig tastete er nach der Brusttasche seiner Jeansjacke – nichts. Wo steckte das verdammte Handy?
    Zehn Minuten später – und gerade mal einen Kilometer weiter – war ihm klar, dass sich sein Telefon nicht im Golf befand. Wo, verdammt noch mal, hatte er es liegen lassen? Nach und nach schälte sich aus der Dämmerung seiner Gehirnwindungen die Erkenntnis, dass es im Büro auf seinem Schreibtisch liegen musste. Fuck!
    Weitere zwanzig Minuten später konnte er die B 1 endlich verlassen, passierte zwei Ampeln bei Kirschgelb, fegte die Steinhammer Straße entlang, fand die Durchfahrt zum Hinterhof und ließ den Wagen in der Mitte ausrollen. Er stieg aus und was er sah, verschlug ihm einen Augenblick die Sprache.
    Dann stürzte er ins Büro: »Susanne?«
    »Hier!«
    »Hast du das gesehen?«
    »Was?«
    »Klaus und Karin sitzen auf dem Mäuerchen – und rauchen.«
    »Wie bitte?«
    »Ja, beide!«
    Susanne stürzte mit ihm zur Haustür und spinxte vorsichtig über den Hof. Es stimmte.
    Karin rauchte die erste Zigarette seit dem Lungenschuss, den sie sich vor acht Jahren in Holland eingefangen hatte.
    »Du weißt, was das bedeutet?«, fragte sie dann.
    Kalle nickte.
    Susanne atmete tief durch: »Endlich. Die Krise ist vorbei.«
    »Freust du dich wirklich?«, fragte er und hielt den Atem an – über so etwas Persönliches hatte er noch nie mit ihr gesprochen.
    »Ja«, sagte sie und sah Kalle offen an.
    »Ohne Beigeschmack, ohne Nadelstich?«
    »Ja.«
    Er nahm sie in die Arme, küsste ihre Stirn, murmelte etwas von einer »tollen Frau« und verschwand in Richtung Bochum.
    83
    »Und was meint ihr?«, fragte Lohkamp, als er mit Klemm und Hardenberg in Richtung Autobahn fuhr.
    »Ich glaube ihm«, sagte Hardenberg. »Einerseits ist er sicher ein Menschenschinder. Wie er diese Ossis behandelt hat – unfair ist kein Ausdruck. Andererseits hat er die Hosen ganz schön weit runtergelassen. Das Wasser steht ihm bis zum Hals. Aber den Mord traue ich ihm nicht zu.«
    Lohkamp nickte düster: »Dieses ganze Baugewerbe ist ein Schlachtfeld. Mit Haken und Ösen und ohne Genfer Konvention.«
    »Und du, Kathrin?«, fragte Hardenberg.
    »Ich tippe auf Korolenko. Charme hat er ja. Aber er gehört zu den armen Schweinen, die für die anderen die Drecksarbeit erledigen müssen.«
    »Und es dann auch gnadenlos tun«, sagte Lohkamp.
    »Ja«, seufzte Kathrin. »Leider.«
    Schon an der Ausfahrt verließen sie die A 43 und bogen zum Kemnader See ab. Von Westen her zog das nächste Wolkenfeld heran und von dem Freizeit-Gedränge, das hier am Wochenende herrschte, war nichts mehr zu spüren. Nur ein paar hartgesottene Jogger waren noch unterwegs.
    Rechts ab ins Lottental.

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