Achsenbruch
der nächsten Brücke. Die führt schräg über die Wasserstraße.«
Unentschlossen blickte Susanne den Damm entlang. Auch dort blühte zwischen den Schienen der Dschungel. »Ganz schön mühsam hier oben.«
Genervt verdrehte Mager die Augen, aber Kalle lächelte der Chefin zu: »Okay. Geh unten entlang und warte an der nächsten Brücke auf uns.«
Verbissen kämpften sich Vater und Sohn weiter voran. Sie zogen Ast um Ast beiseite und stolperten über das im Grün versteckte Gerümpel.
»Still!«, sagte Mager plötzlich. Rechts unter ihnen, auf dem Baugelände, näherte sich langsam ein Wagen mit einem starken Motor. Kein Lkw – aber was?
Der Kameramann schob sich zwischen zwei Büschen hindurch näher an den Rand des Bahndamms. Ein schwerer Offroader quälte sich heran. Die von den zahlreichen Lastwagen gezogenen Furchen waren so tief, dass sie selbst für einen Hummer eine Herausforderung bildeten.
»Kalle, kuckma!«
Der Sohn blieb stehen und spähte durch das Blätterwerk. Der Wagen stoppte, der Fahrer sprang heraus und bewegte sich ein paar Schritte in Richtung Unfallstelle.
»Bleifinger«, zischte Kalle.
»Der vom Freitag?«
»Genau.«
Jetzt lief ein Typ mit Anzug und rotem Schutzhelm auf den Unternehmer zu. Noch vor seiner Ankunft wurde er mit Vorwürfen überschüttet: »Was ist los? Was soll die Scheiße? Wo bleiben die Stahlträger? Muss ich mich denn selbst um alles kümmern?«
Intuitiv riss Mager seine Kamera hoch, fing die beiden Männer ein und zoomte sie heran, während der Wortwechsel weiterging. Hoffentlich filterte das Richtmikrofon den laufenden Motor des Geländewagens wirklich weg!
»Ein Unfall, Chef!«
»Und warum erfahre ich das erst jetzt?«
»Weil Ihr Handy ausgestellt ist!«
Bleifinger zog sein mobiles Telefon, drückte ein paar Tasten und steckte es wieder ein. Offenbar hatte der Behelmte Recht – aber eine Bestätigung brachte sein Boss nicht über die Lippen: »Also: Was ist los? Warum fährt der Sattelschlepper da vorne nicht weiter? Achsenbruch?«
»Schlimmer, Herr Bleifinger. Ein Kind …«
»Und?«
»Es ist tot. Und der Fahrer steht unter Schock.«
Bleifinger blickte noch einmal in Richtung Königsallee, machte aber keine Anstalten, sich dem Unglücksort zu nähern.
»Kann kein anderer den Schlepper weiterfahren?«, fragte er schließlich.
»Die Kripo ist da. Die müssen erst alles aufnehmen.«
»Was gibt es da aufzunehmen? Wenn der Fahrer nicht aufgepasst hat, sollen sie sich an den halten. Das ist sein Problem. Aber jetzt verbrennen sie da vorne mein Geld!«
»Herr Bleifinger!« Der Mann mit dem Helm hob seinen Kopf. Er musste, schien es, seinen ganzen Mut zusammennehmen: »Diese Behelfseinfahrt taugt nichts. Ich war von Anfang an dagegen.«
Bleifinger trat an den Mann heran: »Wenn ich auf jeden Hellseher hören würde, wäre ich schon pleite.«
»Da liegt ein totes Kind!«
»Ja – aber die Kripo macht es auch nicht mehr lebendig!« Er bohrte dem Mann den Zeigefinger in die Brust: »Sorg dafür, dass der Nachschub wieder rollt. Dafür bezahle ich dich schließlich!«
81
Der kurze Rundgang durch das leer stehende Häuschen an der Landstraße brachte nicht viel.
Die kleine Küche mit dem alten Kohleofen war nur mit dem Allernotwendigsten ausgestattet, der Kleiderschrank im Schlafzimmer leer und die Betten so dreckig, dass sich kein Schäferhund mit einem Rest von Würde hineingelegt hätte.
Im Wohnzimmer sah es kaum besser aus. Die übliche Sitzgarnitur, Sessel und Couch alt und abgenutzt, auf der verschrammten Tischplatte eingetrocknete Ringe, die von Bierpullen oder Wodkaflaschen stammen konnten. Der dreiteilige braune Schrank mit dem Glasfenster in der Mitte musste mal ein Schmuckstück gewesen sein, aber jetzt war eine Scheibe gesprungen und dahinter langweilten sich nur ein paar Tassen und Gläser. Das Transistorradio auf dem Beistelltisch funktionierte sogar, doch der große Fernseher übertrug auf allen Kanälen dasselbe Schneetreiben.
Kathrin öffnete die Tür zu Nasszelle. Dreckkrusten versteinerten im Waschbecken, der Toilettentopf war ein schwarzes Loch und auf den Wänden blühten Schimmelkulturen. Dieser Raum war eher ein Fall fürs Gesundheitsamt als für die Spurensicherung.
»Widerlich«, sagte Klemm. »Dass Leute so hausen können!«
»Gibt noch Schlimmeres«, meinte Lohkamp. »Musst dir mal die Baracken auf Großbaustellen ansehen. Bei der letzten Razzia in Bleifingers Büropark haben die Ärzte gleich ein paar Wohncontainer
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