Achsenbruch
Viel Wald. Die Universität auf dem Bergrücken versteckte sich noch hinter den exotischen Bäumen des Botanischen Gartens.
»Da vorne!«
Die Senke, durch die sie fuhren, erweiterte sich zu einem kleinen Talkessel, in dem vor Jahrzehnten Kohle geschürft worden war. Die wenigen Wohnhäuser, die das Ende des Bergbaus überlebt hatten, sahen so aus, wie Lurich sie beschrieben hatte: rheumatisch.
»Komisch«, sagte Klemm, als sie neben dem Streifenwagen der Bochumer Polizei ausstiegen. »Vor zwei Tagen bin ich noch hier durchgewandert. Diese Steinkästen haben mir schon vorgestern nicht gefallen.«
Lohkamp trat an den abgestellten Omega mit der Blaulichtanlage heran. Ein Kollege in Grün döste hinter dem Steuer vor sich hin und schrak auf, als der Hauptkommissar an die Scheibe klopfte.
»Kripo?«
»Ja. Wo ist dein Kollege?«
Der Streifenwagenmann verzog das Gesicht. Wieder so ein arroganter Kripomann, der glaubte, er könne alle Uniformträger einfach duzen. Aber dann öffnete er doch den Mund: »Ist ’ne Kollegin. Langweilt sich oben vor der Tür. Können wir gleich abhauen?«
»Sicher. Irgendetwas Besonderes?«
»War keiner da. Und wenn Steffi da oben nicht von der Hauskatze gebissen wurde …«
Das Treppenhaus war sauber, aber eng und düster. Auf dem letzten Absatz saß eine junge, hübsche Polizistin und schmuste tatsächlich mit einer rostroten Katze. Als die drei Kriminaler näher kamen, hörte das Tier auf zu schnurren und verwandelte seinen Rücken in einen Brückenbogen.
»Und wir dachten schon, dass dein Fahrer dich schutzlos hier oben zurückgelassen hat«, lachte Kathrin.
Die Polizistin lächelte zurück: »Seid vorsichtig. Der hier stammt direkt vom Säbelzahntiger ab.«
Vorsichtig ließ sie den Kater auf die Stufen gleiten und das Tier verschwand. »Wie ist das? Braucht ihr noch Unterstützung?«
»Irgendjemand da oben drin?«
»Nein. Nichts gehört, nichts gesehen.«
»Ich glaube, dann schaffen wir es zu dritt. Danke für das Wacheschieben.«
Während die Kollegin die Treppe hinablief, kletterte Lohkamps Team neun Stufen höher. An der einen Tür stand Möcklinghoff , an der anderen gar nichts. Lohkamp zog den Schlüsselbund und wandte sich zu der Tür ohne Namen: »Versuchen wir es hier.«
Er drückte auf den Klingelknopf und Hardenberg griff unwillkürlich nach der Pistole, die er an der rechten Seite in einem Holster trug. Klemms Waffe steckte wohl wie immer in der Handtasche und die Sauer P6 des Chefs ruhte dort, wo sie seit Langem austrocknete: in seiner Schreibtischschublade.
Als sich auch nach dem dritten Klingeln in der Wohnung nichts rührte, zog Lohkamp den Schlüsselbund heraus, den Lurich ihm überlassen hatte: »Nun denn!«
Im Gegensatz zu dem Häuschen unten an der Landstraße sah Korolenkos Wohnung penibel aufgeräumt und gepflegt aus. Nur wenige, auf das Notwendigste beschränkte Möbel, kein Schnickschnack auf den Regalen und Fensterbrettern, die sorgfältig gestrichenen Raufasertapeten ohne röhrende Hirsche, aber über dem militärisch akkurat ›gebauten‹ Bett ein Madonnenbild.
»Ein frommer Mörder«, schloss Kathrin.
»Das hier sieht weniger fromm aus«, rief Hardenberg aus der Wohnstube. Kathrins Erwartung, er hätte das Bild einer hüllenlosen Playboy-Schönheit entdeckt, wurde enttäuscht. Sorgfältig gerahmt hing da das Schwarz-Weiß-Foto eines sowjetischen Schützenpanzers auf einer staubigen Straße, im Hintergrund mit Schnee bedeckte Berge, ganz vorne Korolenko. Er war deutlich jünger, als sie ihn gesehen hatten. Lässig lehnte er an der Seitenwand des Panzerfahrzeugs, eine Kalaschnikow neben sich an eines der großen Räder gelehnt, eine Zigarette im Mundwinkel.
»Auf geht’s«, sagte Lohkamp, streifte sich die unvermeidlichen Plastikhandschuhe über und begann im Wohnzimmer, Klemm nahm sich das Schlafzimmer vor und Hardenberg die Küche. Eine halbe Stunde lang fanden sie nichts von Bedeutung.
Lohkamp hatte sogar die altertümlichen Holzbohlen unter ihren Füßen nach Hohlräumen abgeklopft. Aber sie fanden nichts. Kein verstecktes Waffenlager, keine Geheimakten, sogar die übliche Pornosammlung fehlte. Die zwei Dutzend Bücher schienen eher militärischer Natur oder Romane zu sein – lesen konnten sie keines.
Einen kleinen Erfolg hatte lediglich Kathrin zu verbuchen. Im Badezimmer befand sich ein runder Korb mit Schmutzwäsche, der fast leer war. Zwei T-Shirts, zwei Slips, eine ziemlich abgenutzte Arbeitshose.
Als sie diese fünf Teile
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