Achsenbruch
Bleifinger!«
»Aber Potthoff vergibt die Aufträge.«
»Ja – und? Die Bombe ging aber nicht da hoch!«
»Eben, bei der OB. Tragisch, denn Sie hatten doch Geschäftsbeziehungen zu ihr.«
»Ja. Wir haben ihr das Haus umgebaut. Entkernt und saniert. Und ich kann es nur wiederholen: Ich jage keine Hütte in die Luft, die ich selbst hergerichtet habe. Und zweitens …«
»Aber wir haben nur eine Rechnung über Materialkosten gefunden. Welche Gegenleistungen haben Sie erwartet?«
Lurich hielt die Lippen geschlossen.
»Mann, reden Sie doch. Ich bin von der Mordkommission und nicht vom Finanzamt. Ich will nur verstehen, was hier passiert ist.«
»Nein, kein Wort mehr!«
Hardenberg brach das einsetzende Schweigen: »Chef, Sie haben Herrn Lurich eben unterbrochen. Eigentlich wollte er unter ›zweitens‹ noch etwas sagen!«
»Ja? Doch, stimmt. Tut mir leid, was ist noch?«
»Korolenko kann das Haus nicht verwechselt haben.«
»Warum nicht?«
»Er hat auch in Sonnenscheins Haus malocht.«
Jetzt war es an Lohkamp, tief Luft zu holen. Verdammt noch mal, jede Erklärung, die sie fanden, hatte einen Haken.
»Dann stellt sich die Frage, wer ein Motiv hatte, Frau Sonnenschein oder Beißner umzubringen. Was meinen Sie? Und falls es doch Korolenko war – wer hatte einen so guten Draht zu ihm, dass er ihn überhaupt auf einen Bombenanschlag ansprechen konnte?«
»Mann, soll ich Ihre Arbeit machen? Ich habe einfach keine Ahnung.«
82
Als das PEGASUS-Trio aus dem Gewerbepark an die Königsallee zurückkehrte, hatte sich der Verkehrsstau aufgelöst und die Lkws fuhren mit dem Baumaterial jetzt über die Wasserstraße und durch den fertigen Teil des Büroparks. Die Spurensicherung hatte den Unfallort verlassen und die Leiche des Jungen befand sich auf dem Weg zur Rechtsmedizin in Essen. Auf dem Bürgersteig zurück blieben die Kreidestriche, mit denen die Umrisse des Toten nachgezeichnet waren, und mehrere Flecken getrockneten Blutes. Die Behelfseinfahrt war mit rot-weißen Gittern abgesperrt.
»Guckt mal«, flüsterte Kalle und zeigte auf ein niedriges Mäuerchen, das Bleifingers Reich von dem ersten Wohngrundstück hinter der Eisenbahnbrücke abtrennte. Auf den Steinen standen die ersten Gläser und Vasen mit Blumen. Und dann löste sich ein Junge aus der schweigend dastehenden Gruppe von Anwohnern und stellte ein Pappschild auf. In noch etwas ungelenken Buchstaben stand da: Ich habe dich nicht gekannt, aber alles gesehen. André.
» Interviews mit den Nachbarn?«, fragte Kalle, als sein Vater die Kamera absetzte und sich wieder über die Augen wischen musste.
Susanne schüttelte den Kopf: »Wir haben genug. Und den Bleifinger-Anschiss für den Bauleiter kann man sowieso nicht toppen.«
Selten waren sie so bedrückt nach Dortmund zurückgekehrt wie an diesem Mittag. Eigentlich hätten sich alle drei am liebsten in ihren Wohnungen verkrochen, aber es wartete eine Menge Arbeit auf sie.
Vor allem Kalle musste sich beeilen, um sich noch halbwegs pünktlich im Bochumer Präsidium zu melden, aber an diesem Tag interessierte es dort niemanden, dass er eine halbe Stunde zu spät kam.
Karin hatte einen neuen Rechner besorgt, auf den sie erst noch die wichtigsten Programme installieren mussten, um den Beitrag für den Sender fertigzustellen. Nach einem Telefonat mit der Chefin vom Dienst bekamen sie diesmal zweieinhalb Minuten und selbst Mager hatte an Susannes Kommentar nicht eine Silbe auszusetzen. Erst nach drei Uhr konnte Kalle wieder in seinen Golf steigen, um die DVD mit dem fertigen Film zum Sender zu bringen. Mager zog sich wortlos nach Hause zurück.
»Was ist?«, fragte Karin, als sie sein Gesicht sah.
»Ach, Scheiße. Manchmal hasse ich meinen Job.«
»Was ist passiert?«
»Ich habe mal wieder gesehen, wie kurz das Leben ist.«
»Und?«
»Auf jeden Fall viel zu kurz, um sich und andere unglücklich zu machen.«
»Erzähl.«
»Sofort. Haben wir Kaffee?«
Sie nickte. Mit zwei Bechern Kaffee setzten sich nebeneinander auf das Mäuerchen vor ihrer Haustür. Stockend gab er die Bilder des Tages wieder. Aber noch mehr als der Auftritt Bleifingers beschäftigten ihn die Plane und die blutigen Flecken – und am meisten das selbst gemalte Plakat, das der unbekannte Junge zu den Blumen gestellt hatte.
Karin hörte zu, ohne ein Wort zu sagen. Aber irgendwann war ihr linker Arm wie von selbst um seine Schultern gewandert und diese Berührung tat ihm ungeheuer gut.
»Weißt du«, flüsterte er, »dieser
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