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Achsenbruch

Achsenbruch

Titel: Achsenbruch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Junge
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Karin im Badezimmer darum kämpfte, dass Theo zumindest die wichtigsten Grundregeln der Körperpflege anwendete, saß der Kindsvater mit hochgelegten Füßen auf seinem Lieblingssessel. In der einen Hand hielt er ein Glas Rotwein, die andere umklammerte die Fernbedienung. Zur Stunde war das Dritte sein Favorit: Da gab es die Aktuelle Stunde und dann die vom Ersten übernommene Tagesschau . So viel PEGASUS-Präsenz hatte es auf dem Bildschirm schon lange nicht mehr gegeben.
    Als die Wettervorhersage begann, tauchte auch die erschöpfte Mutter wieder auf: »Du bist dran. Heute musst du wieder nach Ägypten …«
    Mager nickte. Zumindest politisch war auch der kleine Sohn auf dem besten Weg. Denn in Ägypten ging es um die Abenteuer eines sagenhaften Krokodils namens Riesenzahn, das sich durch eine Laune der Natur zum Vegetarier entwickelt hatte und zudem entflohene Sklaven und verschuldete Bauern vor den Häschern des Pharaos und der Hohepriester schützte. Die Guten trug es auf seinem Rücken über den Nil in Sicherheit und die Bösen stoppte und verjagte es meist allein dadurch, dass es den weit geöffneten Rachen und die makellos geputzten Zähne zeigte. Und hin und wieder, wenn die Abenteuerlust des Sohnes mit dem gewaltlosen Widerstand nicht mehr zufriedengestellt werden konnte, biss Riesenzahn die Bösen auch schon mal kräftig in den fetten Hintern.
    Mager zog los und dachte sich auf der Treppe ein weiteres Abenteuer des Krokodils aus, das an diesem Abend einen klugen Handwerkersohn retten musste.
    »Die sind blöd, diese hohen …«
    »Hohepriester. Du kannst aber auch einfach Pfaffen sagen.«
    Theo nickte – diesen Ausdruck kannte er. Doch nach einem Augenblick des Nachdenkens wurde er wissenschaftlich: »Was ich einfach nicht verstehe ist, dass Riesenzahn kein Fleisch isst. Wie kann es denn zu einer solchen Mution kommen?«
    »Mutation heißt das. Kommt von dem lateinischen Wort mutari – sich ändern.«
    »Ja – aber wie konnte Riesenzahn …«
    »Schwere Frage. Darüber zerbrechen sich sogar weltberühmte Wissenschaftler den Kopf. Einige vermuten, das könnte mit der seit Jahrtausenden erhöhten Radioaktivität im Niltal und im Tanganjika-Graben zusammenhängen.«
    »Und warum weißt du das nicht?«
    »Woher soll ich etwas wissen, das noch nicht einmal die Experten herausgefunden haben?«
    »Weil du mein Papa bist.«
    »Aber um Papa zu werden, muss man nichts über Radioaktivität wissen.«
    »Sondern?«
    »Man muss eine nette, kluge und zärtliche Frau finden.«
    »So eine wie Mama?«
    »Genau.«
    »Und dann?«
    »Dann muss man Kinder wie dich rechtzeitig ins Bett bringen.«
    Beschwingt eilte Mager ins Wohnzimmer zurück. Theos Fragenkette hatte ihn an jene angenehme Seite des Ehelebens erinnert, die in den letzten Wochen – stressbedingt – in der Familie Mager entschieden zu kurz gekommen war.
    »Na, wie geht’s dir?«, säuselte er, als er das Wohnzimmer erreichte.
    Karin saß auf der Couch, hatte sich der Fernbedienung bemächtigt und starrte fasziniert auf den Bildschirm. Dort linste die Kamera eines Gourmet-Kanals einem Chinesen über die Schulter, der einige Streifen Rindfleisch in einem Wok angebraten hatte und sie gerade mit einer gelbliche Soße ablöschte. Und Karin hielt dem Gatten statt einer Antwort ein leeres Weinglas hin.
    »Sofort!«
    Hoffnungsfroh schüttete er ihr und sich ein Schlückchen ein und rückte um zwei Handbreiten näher. Der Geruch ihres Körpers faszinierte ihn noch immer und als er mit seiner freien Tatze ihren Nacken berührte, schien neues Leben durch seinen alten Leib zu strömen. Sanft streichelte er mit den Fingerkuppen die verwundbare Stelle unter ihrem rechten Ohr.
    »Wie wär’s …«, setzte er an, doch sie hob abwehrend ihre linke Hand: »Scht!«
    Fasziniert sah sie zu, wie der Glatzköpfige ein Schneidebrett an den Kochtopf heranbalancierte. Er ließ ein buntes Ensemble exotischer Gemüseschnipsel in die Öffnung rieseln und verrührte alles sanft miteinander.
    »Genial! Jetzt fehlt nur noch ein Hauch von frischem Ingwer.«
    Mager seufzte unhörbar: Ingwer fand er überhaupt nicht genial. Stattdessen ließ er seine Finger ein Stück tiefer gleiten und schob sie sanft unter den Kragen von Karins T-Shirt.
    »Ist was?«, fragte sein Weib.
    »Nun ja«, setzte Klaus-Ulrich an und überlegte, wie deutlich er seine Vorstellungen von einem befriedigenden Programmwechsel erläutern sollte. »Ich weiß was …«
    »Und was?«
    Ein Déjà-vu-Erlebnis verklebte

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