Achsenbruch
BKA-Leute spannten ihre Rückenmuskeln. Lediglich die Bundesanwältin lächelte, den Kopf mit dem langen Blondhaar ein wenig nach vorn geneigt, und sah Lohkamp geduldig an. Offenbar liebte sie es, sich mit Männern zu streiten, die kleiner waren als sie.
»Aber bisher«, fuhr Lohkamp ruhig fort, »haben wir weder ein Bekennerschreiben noch ein politisches Manifest zu dieser Tat erhalten.«
»So etwas kommt heutzutage nicht unbedingt mit der Post, sondern taucht oft zuerst im Internet auf. Aber überlegen Sie selbst: Wer könnte Ihre OB im Visier haben?«
»Gute Frage. Parallel dazu müssen wir jedoch herausfinden, ob der Anschlag der OB galt oder doch Beißner treffen sollte.«
»Der Mann ist sauber!«, unterbrach ihn die Nadelstreifenfrau.
»Wie schön, dass Sie das schon zu Beginn der Ermittlungen wissen. Ich meine …«
»Herr Lohkamp, wenn der Generalbundesanwalt ermitteln lässt, dann liegt die Leitung der Arbeit nicht bei Ihnen«, deutete Dorn dezent an. »Wir glauben, dass man Bochum endlich aus dem Dornröschenschlaf wecken muss.«
»Wie sollen wir das denn verstehen?«, platzte es aus Flenner heraus.
»Zum Beispiel so: Der Bundesinnenminister hat vor zwei Tagen eine neue Warnung vor islamistischen Terroristen herausgegeben.«
»Was hat Bochum damit zu tun?«
Von oben herab, die manikürten schlanken Hände vor sich auf der Tischplatte gefaltet, sah Dorn den Polizeipräsidenten beinahe geringschätzig an: »Haben Sie vergessen, dass einer der Terrorpiloten vom 11. September mehrere Jahre in Bochum gewohnt hat? Und dass Ihre Staatsschützer den Mann nicht mal auf dem Schirm hatten?«
Trotz der Sommerhitze überkam Lohkamp ein Frösteln.
»Die Arbeit des Polizeibüros II kann sich sehen lassen«, bockte Flenner.
»Ach ja? Sprechen wir gerade von der Mordserie unter den Neonazis Anfang 2000? Von den Ermittlungspannen? Kein Ruhmesblatt für Ihre Leute. Und erst recht nicht für den hiesigen Staatsschutz.«
»Wir haben mittlerweile 2006.«
»Danke für den Hinweis.« Sie sah kurz auf ihre Hände, als hätte sie dort einen Spickzettel versteckt. »Wie ist das mit den Protesten gegen den Neubau einer Synagoge? Waren das nur Rechtsradikale? Sie haben viel mehr Muslime in Bochum als Juden, aber eine richtige Moschee dürfen diese Leute nicht bauen, sondern müssen sich mit alten Wirtshäusern und Lagerhallen begnügen. Meinen Sie nicht, dass das für Unmut sorgt?«
Alle in der Runde saßen wie erstarrt.
»Haben Sie die Arbeit der Salafisten im Blick? In zwei dieser Hilfsmoscheen predigen diese Voll-Konservativen und werben Nachwuchs an.«
Verdammt, dachte Lohkamp. Die Frau wusste mehr über Bochum, als er ihr zugetraut hatte. Er beugte sich vor: »Haben Sie denn einen konkreten Anhaltspunkt dafür, dass ein solcher Tatzusammenhang bestehen könnte?«
»Ja, Herr Lohkamp. Den habe ich in der Tat. Wen wollte Frau Sonnenschein heute Abend in ihrem Haus empfangen und bewirten?«
»Sagen Sie es mir. Ich lese nur den Lokalteil von Recklinghausen.«
»Das ist ein Fehler, Herr Kriminalhauptkommissar. Auch die täglichen Hausmitteilungen an alle Bochumer Polizisten haben es nicht für nötig befunden, eine besondere Sicherheitslage anzukündigen.«
Deutliche Unruhe im Saal – das war eine Frontalattacke gegen den Präsidenten und seine Nachrichtentruppe.
»Dann will ich sie mal aufklären. Frau OB Sonnenschein hat eine Gruppe alter Leute eingeladen, die 1937 und 38 als Kinder mit ihren Eltern nach Palästina und in die USA ausgewandert sind. Von den Nationalsozialisten vertrieben und ausgeplündert. Weil sie Juden sind. Sehen Sie da wirklich keinen Zusammenhang?«
Flenner hatte noch nie so wehrlos ausgesehen wie in diesem Moment. Er würde Mühe haben, bis zur öffentlichen Pressekonferenz seine Fassung zurückzugewinnen.
Acht Kameras und fast zwei Dutzend Mikrofone waren auf den Pressesprecher des Polizeipräsidenten gerichtet, als er ans Rednerpult trat. Mit einem leichten Lächeln schaute er auf die rund fünfzig Anwesenden hinab, die sich im Saal versammelt hatten. Solch ein Andrang herrschte in Bochum nur selten, aber als Spezialist im Lächeln und Lügen war Gaius Stahl routiniert genug, um die Situation zu meistern. Zunächst harrte er etliche stumme Sekunden am Mikrofon aus, ohne auf das Stimmengewirr im Publikum zu reagieren. Dann merkte man, dass er in diesem Tumult nichts sagen würde, und langsam ebbte der Lärm ab.
»Danke schön, meine Damen und Herren!«, tönte er sogleich in die
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