Achsenbruch
Mikrofone. »Zuerst zu den Fakten: Heute Morgen gegen 8.37 Uhr erreichte uns die Meldung, dass sich vor dem Haus der Oberbürgermeisterin eine Explosion ereignet habe. Dabei wurden, wie sich später herausstellte, Frau Sonnenscheins Lebensgefährte, der Rechtsanwalt und Notar Lukas Beißner, getötet und der Fahrer eines Abschleppwagens schwer verletzt. Die Oberbürgermeisterin blieb unversehrt – sie befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Rathaus.«
Einige Presseleute meldeten sich mit Zwischenrufen zu Wort, aber Stahl schüttelte nur den Kopf und wartete, bis man ihn weiterreden ließ.
»Wie bei anderen Sprengstoffdelikten hat zunächst der Herr Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen und uns seine Mitarbeiterin Frau Bundesanwältin Dorn geschickt. Eine Gruppe von Spezialisten des BKA und des LKA arbeitet bereits am Tatort. Unterstützt wird sie von einer Sonderkommission der Bochumer Polizei unter Leitung des Ersten Kriminalhauptkommissars Lohkamp.«
Leichtes Raunen unter den wenigen ortsansässigen Journalisten, und einer von ihnen sagte halblaut und voller Erstaunen: »Wieso haben die den denn wieder ausgegraben?«
Ein paar Auswärtige sahen ihn verständnislos an, aber das war nicht die Stunde, ihnen die Geschichte einer verpfuschten Karriere zu erzählen. Immerhin war Lohkamp einst einer der Shootingstars für Terrorbekämpfung im Bundeskriminalamt gewesen, bevor er über Recklinghausen in Bochum-Wattenscheid gelandet war – und jetzt ohne festen Zuständigkeitsbereich mal hierhin und dorthin abgeordnet wurde.
Auch der Betroffene hatte das Gemurmel gehört und kniff, scheinbar amüsiert, die Augen zusammen. Doch in seiner Magengegend brodelte es. Er saß zusammen mit der Bundesanwältin, dem Polizeichef, zwei Leuten vom BKA und Sonnenscheins Stellvertreterin im Podium – aber so weit vom Rednerpult entfernt, dass jedem deutlich wurde, welche Rolle man ihm zugewiesen hatte.
Warum habe ich heute Morgen nicht Nein gesagt?, wurmte es Lohkamp.
»Sie werden verstehen«, sagte Stahl, »dass wir zu diesem frühen Zeitpunkt die meisten Geheimnisse dieses Verbrechens noch nicht aufklären konnten. Aber einiges haben wir bereits erreicht. Und dazu übergebe ich nun an die Vertreterin des Generalbundesanwalts …«
Dorn stand auf – lang, schlank, perfekt: »Meine Damen und Herren, Sprengstoffe gehören zu jenem exklusiven Kreis von Waffen, die am schwersten zu beschaffen und zu handhaben, aber zugleich am wirkungsvollsten sind. Schon deshalb sind Delikte, bei denen sie eingesetzt werden, zweifellos zu den besonders schweren Straftaten zu zählen.«
Blabla, dachte Lohkamp und wartete auf den Moment, an dem sie die Bombe mit den Islamisten zünden würde. Zugleich dachte er über Beißner nach. Wieso nur war er so unzufrieden damit, dass der Mann als sauber galt? War er schon so weit, dass er jeden Menschen für schuldig hielt, solange ihm nicht das Gegenteil bewiesen wurde? Dann wurde es wirklich Zeit für ihn.
»Welche Motivation für die heutige Tat vorliegt oder welcher Täterkreis in Betracht kommt, können wir gegenwärtig noch nicht sagen. Denn wir wissen nicht einmal, ob der Anschlag der Oberbürgermeisterin gegolten hat oder Herrn Beißner, dessen Tod wir sehr bedauern.«
Erstauntes Raunen im Auditorium und einige Journalisten sahen sich verblüfft an.
»Wir können allerdings auch einen terroristischen Hintergrund nicht ganz ausschließen.«
Dieser Satz riss selbst altgediente Presseleute aus dem Halbschlaf. Begeistert schrieben sie mit, was die Bundesanwältin an Indizien aufzählte. Das Sommerloch nach der Fußball-WM ließ sich mit diesen Hinweisen bestens füllen.
»Über den genauen Tathergang wird Sie nun der Leiter des BKA-Teams informieren.«
Einer der glatt rasierten Jungs aus Karlsruhe nahm nun ihren Platz ein und erzählte haargenau das, was Lohkamp intern berichtet hatte. Aber den Leuten im Saal war das zu wenig und der Mann von BLUT eröffnete die Fragerunde: »War die Explosion das Werk eines Selbstmordattentäters?«
»Nein.«
Eine Sekunde blitzte Bedauern darüber im Gesicht des Mannes auf, dass ihm soeben die beste Schlagzeile seiner Karriere entgangen war. Doch er gab noch nicht auf: »Wurde die Explosion durch Fernzündung ausgelöst?«
»Nein.«
»Wie dann?«
»Durch ein Kontaktkabel.«
Vor Verblüffung blieb es im Saal einen Moment still. Der Glattrasierte lächelte jetzt: »Diese Technik findet man heute noch manchmal an Nachttankstellen: Ein Wagen
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