Achsenbruch
Mager den Mund: Vor vielen Jahren hatte er selbst, auf einer anderen Couch, dieselbe Frage gestellt. Und zur Antwort ein verheißungsvolles »Sagen – oder tun?« kassiert. Also entschloss er sich, nicht zu reden, sondern zu handeln. Seine rechte Hand setzte ihren Vormarsch fort.
»Mann, Klaus!«, fuhr Karin auf und schüttelte seine Finger ab. »Wir haben doch erst Montag!«
13
»Wer von euch war’s?«
Die heftigen Diskussionen im Montagsclub brachen ab, als hätte jemand den Stecker herausgezogen. Alle blickten den Mann an, der gerade das Hinterzimmer der Friedenseiche betreten hatte. Und dem schien die Wirkung seiner Frage zu gefallen. Er lächelte leicht, hängte seinen Schlapphut an den Garderobenständer und schüttelte die langen weißen Locken, in deren Mitte eine helle Lichtung glänzte. Dann ließ er sich auf dem Armsessel vor Kopf des langen Eichentisches nieder. Dieser Platz gehörte nur ihm, Carlo Uebermuth, dem Vorsitzenden des Clubs.
»Wie – wie meinst du das?«, fragte Dieter Flessek, der die Ratsfraktion jener Partei leitete, die seit 1946 in Bochum die Pöstchen vergab.
Er hatte in den letzten Jahrzehnten neben seinem Job als Schulleiter so viele Ämter an sich gezogen, dass ein normaler Mensch keine Zeit mehr gefunden hätte, zwischendurch auch noch vier Kinder zu zeugen.
»Du verstehst schon, was ich meine, Dieter. Wer von euch wollte Irmhild in die Luft jagen?«
Der Expädagoge blies die Backen auf: »Diese Frage enthält eine Unterstellung, die ich energisch zurückweisen muss!«
Uebermuth lächelte nur.
»Außerdem: Wer sollte daran schon Interesse haben?«
»Du selbst zum Beispiel!«, mischte sich Lina Tenberge ein. »Du hast doch bei der letzten Kandidatenwahl lange gezögert, weil du lieber in den Landtag wolltest.«
Schadenfrohes Gekicher lief um den Tisch. Als Flessek vor ein paar Jahren gemerkt hatte, dass ihn niemand nach Düsseldorf schicken wollte, war Sonnenschein als OB schon durch – und er noch immer Fraktionschef.
»Und was ist mit dir?«, fragte Flessek zurück und zwang sich, Tenberge in die Augen zu sehen. Viel Haut hatte sie in dieser Runde noch nie gezeigt, aber er gab die Hoffnung nicht auf, dass sie eines Tages einen Blusenknopf mehr öffnete.
»Ich kann in Ruhe abwarten«, sagte Tenberge und lehnte sich, Gelassenheit demonstrierend, zurück. Die Bluse spannte sich über ihren Brüsten und Flessek musste schlucken. Körbchengröße B, dachte er, schön handlich und straff. Was anderes als die Hängetitten von …
»Ich bin erst achtunddreißig«, fügte Lina hinzu und sah ihm spöttisch in die Augen. »Siebzehn Jahre jünger als du. Mir läuft die Zeit nicht davon.«
»Ihr tut so, als wären wir hier bei der Mafia!« Hartmut Potthoff tippte sich mit seinem fleischigen Zeigefinger gegen die Stirn. »Dabei geht es hier nicht um unser persönliches Wohl, sondern um die Zukunft der Stadt!«
Mehrere Leute in der Runde verzogen das Gesicht. Potthoff war als Leiter des Bauamtes mindestens so korrupt wie alle seine Vorgänger zusammen. Und Uebermuth fand den Hinweis auf die Mafia gar nicht so unpassend.
»Moment mal!« Auf der anderen Seite des Tisches klopfte jemand mit der Spitze seines Kugelschreibers gegen ein leeres Bierglas – und alle merkten auf. Dort saßen nämlich die Vertreter der Stadtbank, zwei Vorstandsmitglieder und einer von den leitenden Angestellten, alle drei treue Parteisoldaten. Ihr Einfluss war enorm. Wie alle kommunalen Kassen musste auch die Stadtbank gemeinnützige Projekte fördern. Ohne diese Zuschüsse waren die Glanzstücke der Bochumer Kulturpolitik, das Schauspielhaus und die Symphoniker, in Gefahr – und wer das riskierte, wurde geteert und gefedert.
»Mit Irmhild«, begann der Hagerste des Finanztrios, der lange Zeit den Unterbezirk der Partei geleitet hatte, »haben wir sicher keinen genialen Griff getan.«
»Sie war ja auch nur dritte Wahl«, warf Flessek ein und goss sich ein weiteres Glas auf seine gepeinigte Leber.
»Und du nur die vierte«, grinste Tenberge. Vor Zorn wechselte Flesseks zerknittertes Gesicht die Farbe.
»Bitte, beherrscht euch, Genossen!«, mahnte Uebermuth, konnte aber selbst ein schadenfrohes Lächeln nicht unterdrücken. Säufer wie Flessek mochte er nicht. Politik musste man mit Verstand angehen und nicht mit der Leber. »Sonnenschein hat auch ihre starken Seiten. Mit ihr haben wir die Stimmenverluste bei den Kommunalwahlen gestoppt. Weil sie bei unserer Stammwählerschaft gut
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