Achsenbruch
ankommt.«
»Aber dafür verärgert sie auch die Vertreter der Wirtschaft. Bochum ist ein sensibler Standort«, wandte der Hagere ein.
Alle nickten. Der Mann hatte Recht. Sonnenschein verletzte eine Menge Tabus. Uebermuth selbst hatte, bevor er für seine Verdienste in den Aufsichtsrat der Bank berufen worden war, jahrelang das Stadtarchiv im Sinne der konservativen Mafia gelenkt. Für eine Dokumentation über die Folgen der alliierten Bombenangriffe gab es jede Menge Lob. Dafür verschwanden Unterlagen über die Enteignung, Verfolgung und Vertreibung der Bochumer Juden im Keller des Archivs. Auch eine Geschichte über die Verfolgung von Widerstandskämpfern stand nie zur Debatte. Die Unterlagen über die in Bochum umgekommenen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen hatten seine Vorgänger bereits in den Sechzigerjahren entsorgt. Aber was tat Irmhild Sonnenschein, kaum dass sie im Amt war?
»War das nicht peinlich«, warf jemand in die Debatte, »unser bestes Modehaus so zu blamieren? Mein Gott, wen interessiert es heute noch, ob ein Kaufhaus 1936 per Zeitungsannonce verkündet hat, dass sein Laden endlich judenfrei war.«
»Viel schlimmer«, schaltete sich Potthoff ein. »Denkt daran, dass sie Bochum als Standort des Zentrallagers für das größte Möbelhaus der Welt verhindert hat. Das hat uns mehrere Hundert Arbeitsplätze gekostet.«
Und dir ist ein saftiges Schmiergeld entgangen, dachte Lina Tenberge. Laut sagte sie: »Die Elche hätten ja auf einer der alten Zechenbrachen bauen können, statt ein paar ertragreiche Äcker zu betonieren. Damit wären uns auch wichtige Prozente bei der Kommunalwahl verloren gegangen.«
Uebermuth hob den Kopf: Dass Tenberge die amtierende OB verteidigte, kam selten vor.
»Aber«, sagte der ehemalige Vorsitzende des Unterbezirks, »wir sind hier nicht im Wilden Westen. Mit Methoden wie dem Bombenbau können wir uns nicht anfreunden. Wer so etwas tut, beschmutzt den Ruf der Stadt und schadet dem Wirtschaftsstandort Bochum.«
Er legte eine Pause ein und ließ seinen Blick über die anwesenden Vertreter der Politik gleiten, ehe er fortfuhr: »Wenn sich also herausstellt, dass wirklich jemand aus diesem Kreis dahintersteckt, dann ist unsere schöne Achse zwischen Parteiarbeit und Kulturförderung zerbrochen. Wir lassen euch dann mit eurem kaputten Haushalt vor die Hunde gehen.«
Beifall bei Uebermuth und auf der Stadtbankseite, Schweigen und tiefe Sorgenfalten bei den Amtsträgern. Schließlich begehrte Flessek offen auf: »Ihr vergesst wohl, wer euch diese tollen Posten zugeschanzt hat? Ohne uns …«
»Wenn’s um Posten geht, Dieter, solltest du den Mund halten. Du bist in vier Aufsichtsräten.«
»Das steht mir auch zu.«
»Wenn du das Geld an die Partei abführtest, das du laut Statuten zahlen musst.«
»Ich zahle …«
»Hör auf. Du zahlst nicht mal die Hälfte. Sonst könntest du deine ganzen Saufereien und Weibergeschichten gar nicht finanzieren.«
Im nächsten Augenblick sprang alles auf und schrie wütend durcheinander.
Von dem Lärm alarmiert, rannte der Wirt herbei: »Was ist denn bei euch los?«
Jähes Schweigen. Dann sagte Uebermuth lächelnd: »Wir streiten uns, wer die nächste Runde bezahlt. Am besten, du setzt sie auf meinen Deckel.«
Während der Wirt die leeren Gläser einsammelte, herrschte verbissenes Schweigen. Potthoff trommelte mit den Kuppen seiner fleischigen Finger auf den Tisch und Flesseks Stirnglatze lief so rot an, als liefe darunter ein Atomreaktor heiß. Und kaum war der Mann mit der Schürze verschwunden, sprangen Potthoff und Flessek wieder auf. Da hob auf der Parteiseite ein Mann die Hand, der den ganzen Abend noch nichts gesagt hatte: »Schluss!«
Alle sahen ihn an. Klotzek war nicht nur Vorsitzender des vorörtlichen Fußballvereins, sondern auch Boss des Abschleppunternehmens, das am Morgen das Sprengstoffauto vor Sonnenscheins Grundstück entfernen sollte. »Ihr benehmt euch wie kleine Kinder!«
Widerwillig setzten sich alle wieder hin – die Gesichter noch vom Zorn gezeichnet.
»Denkt doch mal nach: Wer die Bombe gelegt oder auch nur bestellt hat, hat Scheiße gebaut. Aber ob man denjenigen findet, ist eine andere Sache.«
»Verdammt noch mal, irgendjemand wollte unsere OB in die Luft jagen!«
»Und einer meiner Fahrer ist wegen des Attentats reif für die Klapse!«, gab der Fuhrunternehmer zurück. »Aber überlassen wir die Ermittlung der Polizei. Ich bete zu Gott, dass keiner aus dieser Runde damit zu tun
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