Achsenbruch
Scheiben und Porzellan. Der Explosionsdruck hatte die Fenster weggefegt, Bilder und Kalender von den Wänden gerissen und die Regale ausgeräumt. Welch ein Schaden!
»Vorsicht«, sagte Lohkamp, bevor sie den großen Wohnraum betraten. Irgendjemand hatte die Zimmerdecke mit hydraulischen Stützen abgesichert, aber das schien eine reine Vorsichtsmaßnahme zu sein. An den Wänden war zwar hier und da etwas Putz abgeplatzt, aber Risse im Mauerwerk konnte Lohkamp nicht entdecken. Wird schon halten, dachte der Hauptkommissar.
»Wie gehen wir vor?«, wollte Klemm wissen.
»Rundgang. Zusammen. Danach teilen wir uns auf!
Aus dem Erdgeschoss war offenbar alles verbannt worden, was die Bewohner an ihre berufliche Arbeit erinnert hätte. Die Kochbücher in der Küche waren zusammen mit einem Teil des Geschirrs und den Gewürzen auf dem gefliesten Boden verteilt worden, aber die schweren Kunst- und Fotobände im Wohnzimmer hatten die Explosion unbeschadet überstanden – hier, auf der Rückseite des Hauses, hatte der Luftdruck gerade noch das Glas in der Tür zum Vorraum platzen lassen. Etliche Splitter hatten sich in den Stoff einer Sitzgarnitur gebohrt. Ein guter Polsterer würde den Schaden wieder richten können.
»Lasst uns mal oben nachsehen.«
Unter dem Dach lagen zwei Räume auf der Seite, die dem Wendehammer abgewandt war. Einer diente wohl zum Schlafen, der andere als Gästezimmer. Beide waren mit Blumentöpfen, Kerzenständern und sonstigem Nippes auf romantisch getrimmt worden, aber die Flachbildschirme stammten aus der Neuzeit. An den beiden Giebelwänden, in denen die Fenster lagen, war die Wucht der Explosion wohl vorbeigerauscht.
Die zwei Zimmer zur Straße hatte es umso heftiger getroffen. Rechts von der Treppe lag eine Art Büro, links ein großes, ursprünglich luxuriös eingerichtetes Bad mit separater Duschkabine und einer herzförmigen Wanne für zwei Personen. Hinter einem Sichtschutz entdeckte Hardenberg neben dem Toilettentopf noch ein Bidet – und ein Urinal, das nach oben durch einen muschelförmigen Deckel abgeschirmt war.
»Schönes Bad«, meinte Hardenberg. »Hier darf man sogar im Stehen pinkeln.«
»Vorerst pinkelt hier niemand mehr«, sagte Kathrin Klemm und betrachtete mit einem Seufzer die ruinierte Einrichtung.
Ein vergleichbares Bild bot das Arbeitszimmer. Die Bücher an der Trennwand zum Schlafraum, die Aktenregale unter der Dachschräge, die Schreibtische und eine kleine Sitzgarnitur waren mit Schutt übersät.
Der lange Hardenberg stand mutlos auf der Schwelle und musterte das Chaos vor seinen Augen wie einen Feind: »Chef, wer soll hier etwas Brauchbares finden?«
»Wer schon?«, grinste Lohkamp. »Meine fähigsten Mitarbeiter!«
»Prima!«, strahlte Hardenberg. »Thalbach und Hösel kommen noch?«
Lohkamp schüttelte den Kopf.
»Äh – der Staatschutz?«
Dieselbe Reaktion.
»Ich ahne Fürchterliches«, murmelte Klemm.
Ohne große Begeisterung musterten Hardenberg und Klemm die umgestürzten Ablagen und Ordner mit Aufschriften wie Versicherungen, Pkw, Telekom und Grabpflege.
»Wo fangen wir an?«
»Erst mal alles fotografieren«, schlug die Oberkommissarin vor. Da der Tatort eindeutig vor dem Haus lag, hatte die Spurensicherung das Innere unbeachtet gelassen – zumindest gab es nirgendwo die Rückstände der Pülverchen, mit denen Fingerabdrücke sichtbar gemacht wurden. »Fotos hat hier bestimmt auch noch niemand gemacht. Oder habt ihr in den Akten schon welche gesehen?«
Klemm schüttelte den Kopf und die beiden machten sich an die Arbeit.
Lohkamp nahm sich währenddessen den Keller vor und musste, da das Licht nicht funktionierte, zunächst den Schaltkasten suchen. Im flackernden Schein seines Feuerzeugs stellte er fest, dass der Hauptschalter auf Aus stand, vermutlich war die Sicherung aufgrund der Explosion herausgeflogen.
Zögernd legte er den Hebel um – die Beleuchtung flammte auf. Zufrieden schnalzte er mit der Zunge und machte sich auf den Rundgang durch die einzelnen Räume: Waschküche, Heizungskeller, Fitnessraum, Rumpelkammer, dazu ein paar Regale in den Gängen. Zerstörungen gab es hier unten nicht. Aber ein dünner Staubfilm, der von der Decke herabgerieselt war, zeugte davon, wie kräftig es vor dem Haus gerumst hatte.
Also gut, dachte er und nahm sich den Abstellraum vor – der Ausdruck Rumpelkammer war angesichts der Ordnung, die hier herrschte, unangemessen. Zwei Stapel mit Kisten, die schon seit Jahren dort lagern mussten, waren
Weitere Kostenlose Bücher