Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut
schrieb: «Wahrscheinlichkeiten sind tricky und verführerisch. Andernfalls wäre Las Vegas nichts weiter als irgendeine Stadt in der Wüste.» Dem jedenfalls kann man wohl zustimmen.
Autor-biographisches & Alp-traumatisches
Einer von meinen gelegentlichen Schreckensträumen: Ich sitze als Quizkandidat auf dem heißen Stuhl in der Fernsehshow «Wer wird Millionär?». Wir sind bei der 50-Euro-Frage. Es geht um Mathematik. Es ist irgendwas Elementares. Grundschulniveau. Und … ich fasse daneben! Ausgeschieden.
Am nächsten Tag in meinem Fachbereich an der Uni Stuttgart erwartet mich ein Spalier grinsender Kollegen. Ich selbst frage mich, ob ich noch Mathematikvorlesungen halten sollte.
So denke ich, so bin ich. Jedenfalls bei meiner Traumarbeit.
Frau vos Savant wusste sich schließlich angesichts der massiven Kritik nicht anders zu helfen, als dass sie ihre Leser bat, das Problem selbst häufig durchzuspielen, um so festzustellen, welchen Zahlenwerten sich die Erfolgswahrscheinlichkeiten bei konsequentem Wechsel und bei konsequentem Beharren annähern.
Auch in der deutschen Öffentlichkeit wurde das Ziegenproblem ausgiebig diskutiert. Selbst
Die Zeit
und
Der Spiegel
machten in ihren Ausgaben vom 19. Juli bzw. 19. August 1991 auf die hitzige Auseinandersetzung in Amerika aufmerksam. Damit wurde in Deutschland ein ähnlich heftiger Disput entfacht. Auch bei uns gab es schlaflose Nächte, geplatzte Partys und streitende Eheleute. Der Journalist Gero von Randow, der den Artikel in der
Zeit
schrieb und später ein Buch über das Thema verfasste, machte ähnliche Erfahrungen wie Marilyn vos Savant. Er beschrieb das so: «Das ist vielleicht ein Gefühl, in Hunderten von Briefen als Spinner oder Dummkopf beschimpft zu werden! (…) Der verehrte Herr von Randow sei ‹wohl ins Sommerloch gestolpert›, jeder normal begabte Zwölftklässler könne schließlich begreifen, dass Frau Savants Rat ‹typische Laienfehler› enthalte, ‹haarsträubender Unsinn›, ‹Quatsch› und ‹Nonsense›, ‹absurd› und ‹abstrus› sei. Die alles dies zu Papier brachten, waren zum großen Teil Akademiker, einige mit einschlägiger Ausbildung in Statistik: Prof. Dr.-ing., Dr. sc. math., Dr. med., Dr. jur., usw. usf. Die schrieben auf Institutsbögen, legten seitenlange Beweise bei, es kam sogar Post aus den Niederlanden, aus Italien, aus Togo.»
Adorno ahoi
Wer denkt, ist nicht wütend.
Theodor W. Adorno
Vorurteile und Schlussurteile.
Nach diesem ausgedehnten Vorspiel schauen wir uns die Auflösung dieses Gemütererregungsproblems an. Wenn der Moderator eine Ziegentür öffnet – und das kann er wie erwähnt immer –, so erfahren wir über die von unsvorher ausgewählte Tür tatsächlich nichts Neues. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir mit unserer Wahl auf das Auto treffen, bleibt also die gleiche wie vor dem Öffnen der Ziegentür durch den Moderator, nämlich 1/3. Das ist die Erfolgswahrscheinlichkeit bei Beharren auf der ursprünglichen Wahl, ohne zu wechseln. Wenn wir dieses Spiel mit einem Freund sehr häufig durchexerzieren und stets nicht wechseln, so werden wir langfristig in einem Drittel aller Einzelfälle mit unserer Wahl auf das Auto treffen. Wenn Sie mögen, probieren Sie es aus.
Das Belangvolle ist nun, dass sich für die beiden anderen Türen die Erfolgswahrscheinlichkeiten sehr wohl ändern. Sofort ersichtlich ist das bei der vom Moderator geöffneten Ziegentür der Fall. Für diese Tür sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Autotür ist, natürlich sofort auf 0, denn sie zeigt ja offensichtlich kein Auto, sondern eine Ziege. Da aber mit Wahrscheinlichkeit 1 das Auto hinter irgendeiner der drei Türen steht und wir für die Türen 1 und 3 gerade eben die Gewinnwahrscheinlichkeiten 1/3 bzw. 0 ermittelt haben, verbleibt für Tür 2, nachdem der Moderator die Ziegentür 3 geöffnet hat, noch die Wahrscheinlichkeit
1 – 1/3 – 0 = 2/3.
Als Ergebnis können wir festhalten: Es ist tatsächlich günstiger, das Angebot des Moderators anzunehmen und die Tür zu wechseln. Damit verdoppelt man seine Chancen. Dieser eruptive Satz war auch die Antwort von Marilyn vos Savant. Und von Gero von Randow. Man könnte diese Antwort für einen Blindgänger halten, aber sie ist richtig. Sie ist aber auch schwer verdaulich. Selbst Köpfe, die Wissen schaffen, liegen hier bisweilen daneben.
Wir wollen mit zwei flankierenden Überlegungen versuchen, noch etwas klarer auszudrücken, warum die Wechselstrategie tatsächlich
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