Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut
die Vor- und Nachteile der beiden erstgenannten Strategien analysieren und zu einer Empfehlung kommen. Versetzen wir uns in dieRolle des Kandidaten. Nehmen wir hypothetisch an, wir finden hinter der gewählten Tür einen Geldbetrag von G = 100 Euro. Dann wissen wir, dass sich hinter der anderen Tür entweder 200 Euro oder nur 50 Euro befinden, und zwar jeweils mit 50 %-iger Wahrscheinlichkeit. Wenn ich nicht wechsele, erhalte ich den Betrag G. Wenn ich wechsele, erhalte ich mit Wahrscheinlichkeit 50 % einen Betrag 2G = 200 Euro und ebenfalls mit Wahrscheinlichkeit 50 % einen Betrag G/2 = 50 Euro. Ganz egal, um welchen Betrag G es sich handelt, beim Verdoppeln kommt immer ein größerer Betrag hinzu (nämlich G), als beim Halbieren wegfällt (nämlich G/2). Im Durchschnitt bringt deshalb ein Wechsel eine höhere Gewinnerwartung, und zwar ist sie höher um den Betrag
Die Schlussfolgerung daraus liegt auf der Hand und kann nur sein: Der Kandidat sollte immer wechseln.
Das klingt alles sehr plausibel. Hier angelangt, könnte man versucht sein, es dabei zu belassen. Doch wir denken weiter. Denn irgendetwas kommt uns an der Sache spanisch vor.
Nach unserer Rechnung würde ein Wechsel meine Gewinnerwartung immer um 25 % erhöhen. Das gilt ganz unabhängig vom hinter der Tür gesehenen Betrag G. Demnach muss ich mir den Geldbetrag hinter der gewählten Tür gar nicht erst ansehen, sondern kann in Gedanken sogleich zur anderen Tür wechseln. Schon allein dieses gedankliche Wechseln zur anderen Tür würde meine Gewinnerwartung um 25 % erhöhen. Hm!?
Und das ist nicht alles. Nach dem einmaligen gedanklichen Wechseln könnte ich dasselbe Argument abermals auf den Geldbetrag hinter der neuen Tür anwenden. Dann käme ich zu demselben Schluss, dass ich abermals gedanklich wechseln müsste, und zwar zurück zur ersten Tür, mit wiederum gesteigerter Gewinnerwartung um 25 %. Und so geht es weiter. Abermals und immer wieder, ad infinitum. Es entsteht die abstruse Situation, dass ich durch andauerndes gedanklichesWechseln meine Gewinnerwartung ständig steigere und, vorausgesetzt, ich strebe Gewinnmaximierung an, nie eine Entscheidung für eine der beiden Türen treffen kann.
Das ist ein Spielshow-Analogon zu Buridans Esel, der sich in der Mitte zwischen zwei Heuhaufen nicht für einen der beiden Haufen entscheiden konnte. Der Kandidat befindet sich im Entscheidungsdilemma in der Mitte zwischen zwei Türen. Er ist lahmgelegt: Entschluss-Starre! Das bringt’s nicht!
Doch nicht etwa an dieser Stelle schon mit der Analyse aufhören! Denken wir noch ein paar Windungen weiter: In der ursprünglichen Argumentation war unsere Gewinnerwartung beim Nichtwechseln G und beim Wechseln war sie um G/4 höher, betrug also 1,25 G. Doch nach dem Wechseln hat sich gegenüber der ersten Wahl der Tür nichts geändert. Auch hier kann ich Pech oder Glück haben und den kleineren Betrag G erwischen oder den größeren Betrag 2G. Wenn ich zu Beginn zufällig bei G gelandet war, gewinne ich durch den Wechsel den Betrag G hinzu. War ich anfangs zufällig bei 2G gelandet, verliere ich durch den Wechsel den Betrag G. Kaum nötig zu erwähnen, dass beides, Glück und Pech, hier gleich wahrscheinlich sind. Insofern beschert bei dieser ebenso plausiblen Art der Analyse ein Wechsel keinen Vorteil und meine Gewinnerwartung ist in beiden Fällen
Diese Überlegung widerspricht der ursprünglichen Überlegung, da sie zwischen Wechsel und Nichtwechsel keinen Unterschied sieht. Sie widerspricht dem früheren Ergebnis auch dahingehend, dass jetzt der Erwartungswert der Wechselstrategie bei 1,5G liegt, statt wie zuvor bei 1,25G, und der Erwartungswert der Nichtwechsel-Strategie jetzt ebenfalls 1,5G ist, statt zuvor G.
Irgendwo ist hier offensichtlich ganz fundamental etwas faul. Aber wo ist die Denkfalle, in die wir hineingetappt sind? Die Mathematik, das Integral von quantitativer Nachdenklichkeit, wird sich hier etwas einfallen lassen müssen.
Doch nicht unzurückweisbar.
Mit etwas höherer Feineinstellung ist ein erster Denkfehler zu lokalisieren. In beiden Argumentationen wird die Größe G unterschiedlich verwendet. Beim letzten Argument steht G für den
kleineren
der beiden hinter den Türen platzierten Geldbeträge. Im ersten Argument versteht man unter G aber den bei Öffnen der ersten Tür gefundenen Geldbetrag. Dieser Geldbetrag kann der kleinere, aber er kann auch der größere der beiden Beträge sein. Man sollte für ihn hier lieber die
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