Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut
fachmännischen Theorie des Zufalls und seiner Eigenschaften.
Beim Basisraten-Irrtum kommt eine verbreitete Konfusion zum Ausdruck. Sie besteht letztendlich darin, im Umgang mit bedingten Wahrscheinlichkeiten bedingtes und bedingendes Ereignis zu verwechseln. Im Taxi-Beispiel wird die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses
Zeuge sagt: «Taxi war blau»
unter der Voraussetzung des Ereignisses
Taxi war blau
von vielen Probanden verwechselt mit der Wahrscheinlichkeit von
Taxi war blau
unter der Voraussetzung
Zeuge sagt: «Taxi war blau».
Der Glaube, dass eine große bedingte Wahrscheinlichkeit irgendeines Ereignisses X, gegeben ein Ereignis Y, gleichbedeutend ist mit einer großen bedingten Wahrscheinlichkeit des Ereignisses Y, gegeben das Ereignis X, ist weit verbreitet. Doch das ist eine Fehleinschätzung, ein Stolperstein der Intuition. Die unbedingte Grundwahrscheinlichkeit (eben die Basisrate) des Ereignisses Y muss für eine zutreffende Analyse in Betracht gezogen werden. Denn die bedingte Wahrscheinlichkeit von X, gegeben Y, ist ja nichts anderes als die einfache unbedingte Wahrscheinlichkeit von X, wenn man die Grundmenge aller zulässigen Möglichkeiten auf die Menge Y einschränkt. Das ist an sich strukturell einfach. Dennoch treten Schwierigkeiten beim Umgang mit bedingten Wahrscheinlichkeiten auf, meist bei deren Interpretation. In der nächsten Runde wollen wir weitere Belegexemplare anbieten.
Selbstmord in Raten.
Wir beginnen diese neue Runde mit einem pädagogisch wertvollen Fundstück. In einem schon etwas älteren Buch[ 24 ] weist Helmut Swoboda auf den Artikel «Im Alter wirst du glücklicher» aus einer nicht näher benannten deutschen Tageszeitung hin. Darin heißt es: «Die polizeiliche Statistik der westeuropäischen Länder sagt überraschend einstimmig aus: Von 100 Selbstmördern sind durchschnittlich 45 Prozent zwischen siebzehn und fünfundzwanzig Jahre alt, 30 Prozent zwischen fünfundzwanzig und vierzig, 15 Prozent zwischen vierzig und fünfzigund nur 10 (!) Prozent aller Lebensüberdrüssigen über fünfzig haben von ihrem Schicksal genug. Es verringert sich also der Entschluss zum Selbstmord immer mehr, je weiter das Alter fortschreitet.» So weit der Zeitungsartikel.
Die Frage, die wir stellen wollen, lautet: Ist die Suizidrate tatsächlich in der vom Zeitungsartikel dargelegten Weise altersabhängig, nimmt sie also mit zunehmendem Alter ab?
Auch die folgende Grafik, die sich auf neuere Daten[ 25 ] aus dem Jahr 2000 bezieht, scheint diesen Trend zu bestätigen. Die Daten weisen aus, wie viele von je 100 Todesfällen einer Altersklasse auf Selbstmord entfielen.
Abbildung 51: Selbstmorde nach Altersklassen. Bezugspopulation: alle Todesfälle einer Altersklasse
Die Deutung scheint auf der Hand zu liegen: Die Jugend ist nicht so unbeschwert wie gedacht. Im Gegenteil, leitartikeltauglich könnte man als Überschrift wählen:
«Selbstmord als Krankheit jüngerer Menschen»
In jungen Jahren (15–39) stirbt ein großer Anteil aus freien Stücken. Mit zunehmendem Alter nimmt der Anteil von Selbstmorden unter den Todesfällen immer mehr ab.
Aufgrund dieser und vergleichbarer Erhebungen mag man hartnäckig glauben, dass junge Menschen besonders selbstmordgefährdet und selbstmordaktiv seien. Doch ziehen wir diesen Schluss nicht zu schnell. Deuten wir dieselben Daten einmal aus einer anderen Perspektive. Wählen wir als Bezugspopulation die Selbstmörder selbst und stellen in einem Schaubild dar, wie viele von 100 Selbstmördern in die einzelnen Altersklassen fallen. Das sieht dann so aus:
Abbildung 52: Selbstmorde nach Altersklassen. Bezugspopulation: alle Selbstmörder
Jetzt könnte eine Überschrift lauten:
«Midlife-Crisis erhöht Selbstmordgefahr»
Selbstmorde erreichen in mittleren Lebensaltern einen Höhepunkt. Die Grafik weist aus, dass von je 100 Selbstmördern rund je ein Fünftel auf die drei Altersjahrzehnte 30–39, 40–49 sowie 50–59 Jahre entfallen. Unter den Jüngeren und unter den Älteren kommt Selbstmord dagegen selten vor. Auf die Teenager (10–19) und die Achtzigjährigen (80–89) entfallen nur rund 5 %.
Ist man also in mittleren Lebensjahren besonders selbstmordgefährdet? Die Daten, aus diesem Blickwinkel betrachtet, scheinendas nahezulegen. Hm!? Eben waren wir doch zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen! Kein gutes Omen! Eine mittelschwere Form von Konfusion macht sich breit.
Im Bemühen, die Konfusion abzuschütteln, wechseln wir nochmals die
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