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Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut

Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut

Titel: Achtung Denkfalle! - die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Diese Überlegung stößt zur Lösung vor. Sie zwingt die Intuition zum Umdenken. Der Fall ist in Wohlbehagnis geklärt.
    Fazit und Weiteres.
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Unfall-Taxi blau ist, hängt nicht nur, wie deutlich geworden sein sollte, von der Verlässlichkeit des Zeugen ab (hier 80 %), sondern auch von Charakteristiken der Population, speziell der Basisrate von blauen Taxis in ihr (hier 15 %). Ohne Berücksichtigung der Zeugenaussage sind diese 15 % die zu veranschlagende Wahrscheinlichkeit, dass das Unfall-Taxi blau ist. Die Aussage des Zeugen erhöht diese Wahrscheinlichkeit von 15 % auf 41 %. Läge der Anteil blauer Taxis in der Population nur bei dem erheblich niedrigeren Wert von 1 %, bei unveränderter Verlässlichkeit des Zeugen von 80 %, so würde die Zeugenaussage «Das Taxi war blau» die Wahrscheinlichkeit, dass das Taxi tatsächlich blau war, lediglich auf 3,9 % erhöhen und nicht auf 41 % wie zuvor. Dieses flankierende Seitenphänomen unseres Hauptthemas wirkt auf den ersten Blick auch widersinnig. Um es so paradox auszudrücken, wie es sich darstellt: Je geringer der Anteil der kursierenden blauen Taxis, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ein vom Zeugen als blau identifiziertes Unfall-Taxi nicht blau ist. Das ist in der Tat so und damit eine weitere gesicherte Kuriosität im aktuellen Kontext.

    Abbildung 50: Auch ein Unfallfahrzeug. Samt eigener Buchführung.
    Der Situation als Ganzes, aber in übertragenem Sinn, sind wir übrigens schon einmal begegnet. Es war in Kapitel 3, als es um Prostatakrebs-Diagnostik ging. Man ersetze die Verlässlichkeit des Zeugen durch die Verlässlichkeit des PSA-Tests auf Prostatakrebs. Man ersetze ferner das Ereignis, dass das Unfall-Taxi blau ist durch das Ereignis, dass der getestete Patient Krebs hat. Dann wird das Taxi-Beispiel strukturell zum Déjà-vu. Und es ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient bei positivem PSA-Test tatsächlich Krebs hat, wie im früheren Kapitel und gerade eben auf andere Art errechnet, gleich 3,9 %.
    An und für Sie: ein Tipp für Schrecksekunden.
Denken Sie übrigens an dieses Beispiel und seine Zahlenwerte, wenn bei Ihnen irgendwann ein wichtiger medizinischer Test positiv ausschlagen sollte. Wenn die Inzidenz, also die relative Häufigkeit der Krankheit in der Population, geringer ist als die Falsch-positiv-Rate des Tests, dann werden selbst Tests, die eine hohe Zuverlässigkeit haben, insgesamt mehr falsche als richtige positive Ergebnisse liefern.Kürzer gesagt: Selbst bei positivem Krebstest sind Sie wahrscheinlich gesund.
    Viel Inhalt.
Wir haben als Ergebnis unserer Analyse nicht nur eine, sondern zwei paradoxe Antworten erhalten. Die erste bezieht sich auf die Zeugenaussage «Unfall-Taxi war blau», die trotz einer hohen Zeugenverlässlichkeit von 80 % als unglaubwürdig eingeschätzt werden muss. Die zweite Paradoxie bezieht sich darauf, dass die als weitaus wahrscheinlicher berechnete Möglichkeit «Das Unfall-Taxi war grün» zur optimalen Empfehlung führt «Untersuche zunächst die blauen Taxis». Insofern neutralisieren sich diese beiden Seltsamkeiten.
    In den großen und kleinen Dingen des Alltags kommen derartige Ereignisse zuhauf vor. Eine kontroverse Standardsituation wie ein Unfall mit Fahrerflucht unter Zeugen – und umzingelt von Paradoxien müssen wir den Überblick behalten.
    Unsere Ergebnisse sind interessante Wissenswerte. Das Beispiel ist zudem ein instruktives Belegexemplar für die unerträgliche Leichtigkeit des möglichen Irrens beim Umgang mit Wahrscheinlichkeiten. Wahrscheinlichkeiten, das dürfte nun über jeden Zweifel hinaus klar geworden sein, sind tricky, und zwar mehr als alles andere in der Mathematik. Unser Gehirn ist von der Evolution nicht genügend darauf vorbereitet worden, mit ihnen kompetent umzugehen. Während Mathematiker seit Tausenden von Jahren Geometrie betreiben, hat es weitaus länger gedauert, einen seriösen, quantitativ-fundierten Zugang zum Zufall und zur Messung des Grades von Zufälligkeit durch Wahrscheinlichkeiten zu finden. Erst die mathematische Wahrscheinlichkeitstheorie bot und bietet eine formale Sprache an, um über Zufallsvorgänge qualifiziert zu sprechen. Sie ist eine noch relativ junge Teildisziplin der Mathematik. Als ihr erstes Lehrbuch wird gemeinhin Jakob Bernoullis
Ars Conjectandi
angesehen, das im Jahr 1713 posthum erschienen ist. Das ist rund 300 Jahre her. Mehr nicht. Die Menschheit steht noch am Anfang einer

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