Achtung Klappe
auf 14 Uhr!“ sagte ich.
„Gut“, nickte Müller-Maroni, „dann legen wir die Mittagspause heute auf 13 bis 15 Uhr. Reicht Ihnen eine Stunde für die Sache?“
„Aber sicher“, nickte ich. „Ich gehe lediglich zur Besichtigung eines mir bekannten Backenbartes!“
Alle wandten sich daraufhin wie auf Kommando Brommel zu, der mit beleidigter Miene seine Backen mit den Händen bedeckte und ergrimmt rief:
„Was seht ihr mich an? Diese schäbigen Reste kann man ja kaum noch als Backenbart bezeichnen!“
Er hatte recht, und es sprach nicht gerade für mein detektivisches Auge, daß ich erst jetzt bemerkte, daß das vormals wollige Gestrüpp seines Backenbartes zu einem kaum noch sichtbaren englischen Gesichtsrasen geschrumpft war.
Nobsie klopfte seinem Kollegen väterlich wohlwollend auf die Schultern: „Mach dir nichts draus. Wächst ja immer wieder nach. Es ist ja nicht so wie bei den Backenzähnen...“
Die Stunden bis zur Mittagspause verliefen ohne große Zwischenfälle, wenn man davon absah, daß das gemietete Taxi bei der zweiten Einstellung zwar wie gewünscht abfuhr, doch gleich darauf wieder stehenblieb. Der Fahrer hatte vergessen, daß auch gemietete Taxis nur mit Diesel fuhren.
Der kantige Luigi höchstpersönlich raste zähneknirschend zur nächsten Tankstelle. Vorher jedoch nannte er den Fahrer... hehehehehe... so was hatte ich noch nie gehört, also vorher nannte er den Fahrer einen... nein, das kann ich nicht sagen, hehehehe, ist zu komisch... ich möchte auch nicht, daß der mir das übelnimmt... hehehe... einen... einen... Schluß, ich sag’s nicht! Schon deshalb nicht, weil sich Balduin der Dritte vor Lachen den Bauch hielt. Dabei hatte ausgerechnet der es am allerwenigsten nötig, über andere zu lachen...
Vier Minuten nach 13 Uhr fiel die letzte Vormittagsklappe.
Anschließend zogen wir gemeinsam ins „Kaisereck“ zum Mittagessen. Es schmeckte zum Vergessen. Selbst Pinsel unterm Tisch verschmähte das ihm angebotene Stück Bratwurst. Hunger litt er natürlich trotzdem nicht, denn Fredi Ziegler, der Aufnahmeleiter, hatte ihn erst eine Stunde zuvor mit einer Superportion Ochsenmaulsalat überrascht.
13 Uhr 45 zahlte ich und machte mich, zusammen mit Pinsel, auf den Weg in die Malvenheimer Landstraße.
14 Uhr 15, also nach genau einer halben Stunde strammem Links-zwo-drei-vier, gelangten wir vor dem schäbigen Laden des Eberhard Jokora an. Die Auslage des Schaufensters erinnerte mich irgendwie an den väterlichen Lagerhof meines ehemaligen Schulfreundes Willi Loppe junior. Willi Loppe senior betrieb einen Lumpenhandel. Er war, wie damals die offizielle Berufsbezeichnung lautete, ein Lumpenhändler.
Ein Besuch bei den Willis stellte für mich immer ein Erlebnis besonderer Art dar.
Die gestapelten „Lumpen“ auf dem Hof bildeten einen Querschnitt der gesamten damaligen Handelsprodukte.
Willi senior kaufte meist nach Gewicht. Ganz gleich, ob es sich dabei um alte Hemden, Zeitungen oder Eisenteile handelte. Auf seinem Hof gab es nichts, was es nicht gab. Vom zweirädrigen Dreirad bis zum dreirädrigen Kinderwagen. Von der Puppe ohne Kopf bis zu Teddybären, aus deren Bauch er Holzwolle zupfte, um damit alte Tassen abzupolstern. Es gab Maschinenteile, defekte Tonbandgeräte, Radioleichen und ganze Batterien von Flaschen. Jokoras Schaufenster war eine Miniaturausgabe von Willi Loppes Lagerplatz. Und hieß bei Willi senior der Staub, der auf allem lag, Dreck, so hieß hier der Dreck Staub.
Trotzdem hatte ich vor einem Jahr die Schwelle dieses unappetitlichen Ladens überschritten, um für einen anständigen Preis einen echten Silberrahmen zu erstehen. Die Ladenglocke, aus einer Kuhglocke bestehend, machte den entsprechenden Krach und veranlaßte Pinsel zu einem drohenden Knurren.
„Schon gut, Löwe!“ rief ich beschwichtigend ins Parterre.
Als sich meine Augen endlich an das hier herrschende Halbdunkel gewöhnt hatten und meine Ohren einem dumpfen Gemurmel auf die Spur zu kommen versuchten, öffnete sich eine Tür, und eine buntgekleidete Dame trat auf mich zu.
Bunt war alles an ihr, nicht nur das bis zum Boden reichende Kleid. Rot waren die Lippen, rosa die Wangen, blau die Lider, lila die Fingernägel und grün die Ohrringe, die aus Holzkugeln bestanden.
„Na, hat der Herr einen besonderen Wunsch?“ fragte sie, und ihre Augen taxierten meine Kaufkraft. War ich enttäuscht darüber, daß nicht der Backenbart vor mir stand, so ließ ich mir das natürlich nicht anmerken.
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