Achtung, Superheld! (German Edition)
halbe Sekunde. Diese halbe Sekunde war alles, was Mollie brauchte, um sich außerhalb seiner Reichweite fallen zu lassen und wieder im finsteren Tröpfchennebel zu verschwinden.
Daniel spürte einen weiteren ruckartigen Richtungswechsel, und als sie durch die Wolkendecke brachen, waren sie weit oben am Himmel und blickten auf die Wolkenbank herab. Der eisige Wind hier oben war schneidend und Daniels Ohren und Finger brannten vor Kälte.
»Da!«, brüllte Mollie. »Ich hab eine gefunden!«
»Was?«, stieß Daniel zwischen klappernden Zähnen hervor.
»Eine Strömung!«, sagte Mollie lächelnd. »Nun überlassen wir dem Wind das Fliegen!«
Dann waren sie im Sturzflug, sausten durch Himmel und Wolken, vorbei an Bäumen und dem Berg.
Daniel schaute zurück. Durch Mollies todesmutigen Sturzflug hatten sie es tatsächlich geschafft und waren ihrem Jäger entkommen. Sie waren allein – und sausten mit unglaublicher Geschwindigkeit auf die Lichter und den festen Boden von Noble’s Green zu.
Als sie noch schneller flogen, merkte Daniel, dass Mollie nicht mehr lächelte.
»Oh-oh, zu schnell«, murmelte sie. Beim Brüllen des Windes konnte er sie nicht wirklich verstehen, aber er konnte es ihr von den Lippen ablesen – weil es das war, was auch er dachte, als der Boden sehr rasch, zu rasch näher kam.
Oh-oh.
14
Zurück nach Hause
Sie waren völlig durchnässt, aber das war kein zu hoher Preis dafür, dass sie die Hochgeschwindigkeits-Verfolgungsjagd mit einem schattenhaften Monster, das Erinnerungen stahl, gewonnen hatten. Das sagte Daniel wieder und wieder vor sich hin, während sie den weiten Weg nach Hause zur Elm Lane zurückwateten.
Ihre Landung war – milde ausgedrückt – hart gewesen. Sie hatten es nur Mollies außergewöhnlichen Flugkünsten zu verdanken, dass sie nicht von ein paar Bäumen aufgespießt oder an einem Dach platt gedrückt worden waren. Unter den gegebenen Umständen hatte sie es immerhin geschafft, ihren Sturz so zu steuern, dass sie im Bergbach landeten. Sie waren auf der Wasseroberfläche entlanggeschlittert, um ihren Schwung zu verringern, bis sie mit einem rekordverdächtigen Platsch ins Wasser geklatscht waren.
Nun mussten sie nur noch nach Hause kommen. Mollie war so erschöpft, dass sie kaum aufrecht stehen, geschweige denn fliegen konnte. Also half ihr Daniel, indem er seinen gesunden Arm um ihre Taille legte. Die Tatsache, dass sie seine Hilfe überhaupt akzeptierte, zeigte, wie fertig sie tatsächlich war.
Bei jedem Schritt quoll dreckiges Flusswasser aus Daniels Turnschuhen. Er schaute auf seinen tropfenden Gips und verzog das Gesicht. Selbst wenn er es unbemerkt ins Haus und bis in sein Zimmer schaffen sollte, selbst wenn es ihm gelang, die nassen Kleider zu verstecken – der Gips würde ihn todsicher verraten. Das schmutzige Wasser des Bergbachs hatte ihm eine grünliche Färbung verliehen, die sich unmöglich verbergen ließ. Egal, was er anstellte, sein gebrochener Arm würde ihn verraten.
Es dauerte eine Weile, doch schließlich machte sich seine Ein-Fuß-vor-den-anderen-Strategie bezahlt, und sie ereichten die Elm Lane. Allerdings war Daniel gut zwei Stunden später zu Hause, als er seinen Eltern versprochen hatte. Daher war er nicht überrascht, dass sie auf ihn warteten.
Daniel hatte gedacht, dass Mollie direkt nach Hause gehen würde, weil ihre Eltern sich vielleicht auch schon Sorgen machten, doch sie begleitete ihn stattdessen bis zur vorderen Veranda, wo sein Vater auf und ab lief.
»Daniel«, sagte er.
Daniel beschloss, dass eine Präventivstrategie am besten funktionieren würde – er würde sich seinem Vater zu Füßen werfen und um Gnade bitten.
»Tut mir leid, dass ich so spät komme, Dad. Mollie und ich haben nach dem Abendessen einen Spaziergang gemacht und wir haben uns verlaufen.«
Sein Vater blickte auf ihre feuchte Kleidung, ihre dreckverschmierten, schlammigen Gesichter. »Einen Spaziergang? In welchem See wart ihr denn genau spazieren?«
»Tja, wie gesagt, wir haben uns verlaufen …«
»Das ist jetzt völlig egal. Mollie, du gehst besser schnell nach Hause, deine Eltern sind krank vor Sorge.«
Irgendwas in Dads Stimme beunruhigte Daniel. Er schien so abgelenkt zu sein … und er war viel, viel zu ruhig. Er hätte wütend auf ihn sein müssen.
In diesem Augenblick erschien seine Mutter in der Tür. Ihre Augen waren rot und ihr Gesicht geschwollen – sie hatte geweint.
»Mom«, sagte Daniel. »Mir geht’s gut, ich bin
Weitere Kostenlose Bücher