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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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er.
    »Ich habe es nicht für uns getan, sondern für Marco.«
    Den Rest der Fahrt wurde geschwiegen. Amandas Parfüm war weniger dezent als ihre Kleidung, es roch nach Moschus und Sandelholz. Es hatte Lunau schon am Vortag irritiert, jetzt machte es ihn nervös.
    Das Gerichtsgebäude lag nur einen Steinwurf vom Kastell entfernt, ein hypermoderner Bau mit kubischer Fassade, Foyer und Treppenhaus als senkrechte Zäsur in blauem Glas. Die Leute strömten aus dem Zentrum und den Nebenstraßen herbei, elegant gekleidete Anwälte, Presseleute, Angestellte und Bürger jeden Alters und jeder politischen Couleur, genau wie die Zeitungen, die sie unter dem Arm trugen. Junge Leute standen in Gruppen zusammen, heftig debattierend. Einige trugen die weiß-blauen Farben der Ferrareser Fußballmannschaft, andere T-Shirts mit einem Gesicht und dem Aufdruck: »Alle für Marco.« Ein Kordon von Polizisten in Kampfausrüstung hielt sich im Hintergrund. Ein hagerer Bursche mit wilden Locken und Drei-Tage-Bart erkannte Amanda, kam auf sie zu und küsste sie auf beideWangen. Dann schaute er Lunau fragend an. »Ich bin Gaetano.« – »Ein Freund meines Vaters«, stellte Amanda Lunau vor. »Verstehe«, antwortete der Bursche, aber er hatte die Lüge nicht geschluckt. Die anderen der Gruppe zogen nach, umarmten Amanda lange, schlugen ihr auf die Schulter. Sie war der Mittelpunkt des Pulks. »Ich gehe schon mal vor«, sagte Lunau. In Ferrara schien jeder jeden zu kennen, und vor allem schien man Amanda zu kennen, in jeder Verkleidung.
    Lunau kam an die Eingangskontrolle hinter der breiten Glastür. Die Sitzung war öffentlich, aber Ton- und Videoaufnahmen waren untersagt, wie ein Schild verriet. Die Polizisten hielten die Besucher mit herrischer Geste an, schauten aber nur in Handtaschen und klopften Lunaus Flanken, die Hosenbeine, Brust und Rücken ab. Es gab nicht einmal einen Metalldetektor. Lunau hatte seinen Digitalrekorder mitsamt Mikrophon in die Unterhose gesteckt.
    Der Verhandlungssaal, der größte in Ferrara, war bereits zu zwei Dritteln gefüllt. Die ersten Reihen fast komplett mit Polizeiuniformen besetzt, einige Beamten filmten die Zuhörerreihen.
    Die beiden Fraktionen im Publikum waren leicht auszumachen, und es herrschte eine äußerst angespannte Atmosphäre. Ein paar Jugendliche mit weiß-blauen Fanschals provozierten die Polizisten mit halblaut gemurmelten Sprechchören.
    Lunau hasste Menschenansammlungen, aber schlimmer als der Körperkontakt war der Lärm, der immer weiter anschwoll. In den hinteren Reihen herrschte das übliche Gemurmel wie vor einer Theatervorstellung, nur war die Akustik in dem kahlen, mit Marmor gefliesten Saal eine andere. Die Schallwellen wurden an den Wänden reflektiert und überlagerten sich. Die Türen schlugen immer wieder, die Stuhlbeine kratzen auf dem Boden, Hunderte Stimmen quasselten durcheinander.
    Lunau hatte in der Nacht Amandas jüngste Aufzeichnungengelesen. Die Hasstirade eines verblendeten Teenagers. Amanda redete sich ein, dass die Polizisten Marco ermordet hätten, aber bei jedem Mord ist das wichtigste Element das Motiv. Welches Motiv sollten die Beamten gehabt haben? Marco war ein harmloser Gymnasiast gewesen, der sich für Musik und Karate interessierte, ein Junge mit normalen Hobbys und revolutionären Ideen, auch das war normal in seinem Alter.
    Als der Richter und die beiden Beisitzer den Saal betraten, heftete Lunau sein Mikro an den Hemdkragen und stellte den Rekorder an. Die Leute standen auf, tausende Metallstuhlbeine schrammten über die Marmorfliesen, einige Stühle fielen um, in der Tonanlage des Saales krachte es, Papier raschelte, die Lautsprecher brummten, Lunaus Nachbar räusperte sich. Der Richter eröffnete die Verhandlung, indem er die Anklagepunkte verlas, wobei die übersteuerte Tonanlage mehrmals schmerzhaft jaulte: Drei Polizeibeamte standen wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht, zwei wegen Behinderung der Ermittlungen. Schon gab es die ersten Proteste, jemand schrie: »Mörder!« Lunau hatte seine Ohrplugs in die Gehörgänge geschoben, aber trotzdem wurde ihm übel. Er verstand kein Wort des Richters mehr, weil er jeden Huster, jede geflüsterte Bemerkung in seiner Nähe registrierte. Er schloss die Augen und versuchte, sich auf das Bild einer blauen Kugel zu konzentrieren, um die der Lärm wie um eine Insel in der tosenden See brandete. Sein Rekorder zeichnete unterdessen für ihn auf. Lunaus Hirn hatte sich angewöhnt, Geräusche

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