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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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verlieren? Wenn er als Spieler etwas gelernt hatte, und Napoleon war der größte Spieler aller Zeiten gewesen, dann dies: Solange man noch spielte, war man nicht verloren. Solange man noch Mittel und Wege fand, den Einsatz zu erhöhen, konnte man Verluste wettmachen. Es reichte eine Hand. Wenn einem 100 000 Euro fehlten, musste man einfach um 200 000 spielen.
    Er griff wieder zum Telefon.
    »Ich habe ein Problem«, sagte Pirri.
    »Schon wieder?«
    »Ich brauche deine Hilfe«, sagte Pirri.
    »Irrtum. Ich brauche deine«, erwiderte der Mann am anderen Ende der Leitung. »Und ich habe alle Argumente auf meiner Seite.«
    »Was soll das heißen? Du weißt doch, dass wir an einem Strang ziehen.«
    »Eben. Und heute bist du mit Ziehen dran. Ich erkläre es dir, aber nicht am Telefon. In einer Stunde am gewohnten Ort.«
11
    Je weiter Serse Rabuffo zurückdachte, desto wütender wurde er. Er dachte an den süßlichen kühlen Geschmack des Powassers, das seine Großmutter vor Sonnenaufgang aus dem Fluss holte, damit der feine Sand sich bis zum Mittagessen am Boden des Blecheimers absetzen konnte. Er dachte an die muskulösen Unterarme seines Großvaters, mit dem er, fünfjährig, zum ersten Mal hinausgefahren war. Mit der Sandola , diesem schlanken, eleganten Holzboot, das heute keiner mehr bauen konnte, das nach harzigem Lärchenholz duftete, an dessen Bug die Laternen schwankten, welche sich nachts auf dem finsteren Wasser spiegelten und die Fische lockten. Serse hatte schneller gelernt als seine Brüder, mit achtzehn wusste er, zu welcher Tageszeit in welchem Mäander die Deibel und die Störe, die Neunaugen und die Stichlinge standen. Er kannte jeden Strudel in den Biegungen, spürte, ob der Fluss in gnädiger Stimmung oder den Menschen gram war.
    Und dann waren die Aasgeier gekommen, mit ihren großen Motorkuttern, mit Schlepp- und feinmaschigen Stellnetzen hatten sie alles leer gefischt, selbst in der Laichzeit. Die Agnellis hatten ihren Riesenkonzern aufgebaut, mit Kampfflugzeugen und Panzerwagen, und nach der Niederlage im Krieg hatten sie eine Regierung nach der anderen geschmiert, damit der Warentransport vom Wasser auf die Straße verlegt wurde, damit jeder seinen Dreck ungestraft in den Po leiten durfte und die Leute Trinkwasser aus der Leitung bezahlen mussten.
    Serse Rabuffo stemmte den Gashebel noch weiter nach vorne, ließ die Schraube noch schneller durch die Fahrrinne pflügen. Die Spitze des kleinen Kunstharzrumpfes hob sich aus dem Wasser und zeigte, leicht zitternd, gen Himmel.
    »Können Sie nicht ein bisschen langsamer fahren? Sie verjagen doch sämtliche Vögel.«
    Serse riss den Gashebel gegen seinen Bauch, die Drehzahl erstarb, die Bremsung war so heftig, dass Lunau und Di Natale gegen die Kajüte flogen.
    »Ich habe zu tun. Herr Di Natale, ich müsste hier ein neues Schild setzen«, sagte Rabuffo. Ein hagerer Hals ragte aus einem fadenscheinigen Hemd, das selten gewaschen und nie gebügelt wurde.
    Di Natale wollte den Mann zurechtweisen, aber Lunau hielt ihn am Arm fest.
    »Lassen Sie ihn einfach seine Arbeit machen. Das ist für mich genauso interessant.«
    Während Rabuffo das Boot vertäute, spielte Lunau Di Natale die merkwürdige Aufnahme mit dem Glockenflirren vor. Di Natale lauschte angestrengt und schüttelte schließlich den Kopf.
    »Das sagt mir gar nichts.«
    »Haben Sie eine Idee, was es sein könnte?«
    Di Natale zuckte mit den Schultern.
    »Tut mir leid.«
    »Es ist wichtig.«
    »Nein, ich würde Ihnen gerne helfen.«
    Rabuffo hatte einen Holzpfahl mit einem Schild und eine Motorsäge auf den Uferstreifen geschafft. Er fraß sich durch das Unterholz, säuberte eine Stelle und rammte das Schild ein.
    »Damit wird die Fahrrinne markiert«, sagte Di Natale mit fast kindlichem Stolz. »In der Flussmitte setzen wir Bojen zur Begrenzung, und die Schilder kündigen Untiefen oder Engstellen an. Außerdem stellen wir die Messdaten über Verlauf, Tiefe und Breite der Rinne, die unsere computergestützten Echolote ständig an die Zentrale melden, ins Internet. Alle Binnenschiffer sehen dort rund um die Uhr die aktuellen Daten.«
    Lunau ließ sich das Gerät an Bord zeigen, aus dem eine Endlosrolle Papier lief, mit verschiedenen Fieberkurven.
    »Interessant«, sagte Lunau. Aber interessanter als dieses Echolot fand er den wortkargen Mann mit dem gegerbten Gesicht, der meinte, man habe ihnen den Fluss genommen wie den Indianern die Büffel. Man habe sie in Reservoire gesperrt und speise sie mit

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