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Acqua Mortale

Acqua Mortale

Titel: Acqua Mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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zittern an. Zuerst das Kinn, dann der Hals und schließlich die Arme. Sie schlug die Hände vors Gesicht, schluchzte und ließ sich auf dem Sofa zur Seite fallen. Lunau betrachtete die Ellbogen, an denen der dünne Stoff des Hausmantels fadenscheinig geworden war. Man sah die zerbrechlichen Knochen. Er streckte seine Hand aus, bis er sie fast berührte, dann zog er sie wieder zurück.
    »Ich komme morgen wieder. Sie können mich jederzeit über das Handy erreichen. Aber wie gesagt: Offiziell bin ich nicht mehr hier.«
    Sie wurde von Konvulsionen geschüttelt, und Lunau wusste nicht, ob sie ihn überhaupt gehört hatte.
    Als er das Haus verließ, zogen luftige Dunstschleier durch die Straße. Um die Laternen hatten sich gelbe Blasen gebildet. Die Zeder und die hohe Mauer des Nachbarn standen genau so, wie Silvia es beschrieben hatte. Sie verdeckten die Sicht auf den Straßenrand. Lunau ging an das Törchen. Niemand zu sehen, kein Hinweis darauf, dass Di Natales Haus oder Lunau selbst observiert wurden. Er schwang sich auf das geliehene Fahrrad und fuhr über den nagelneuen leuchtend roten Radweg die Via Bologna entlang. Er kam an ein grell erleuchtetes Stadttor, passierte die Piazza Travaglio und fädelte sich in die Via San Romano ein, eine enge Gasse der Altstadt, Fußgängerzone. Lunau kontrollierte durch Seitenblicke in Schaufenster, ob er jemanden an den Hacken hatte. Aber niemand schien ihm zu folgen. Er bog in eine verlassene Gasse des ehemaligen Ghettos, hielt hinter einer Häuserecke und wartete. Keine Schritte, keine Spur von einem Menschen. Er kehrte in die belebtere Via San Romano zurück, mischte sich unter die Passanten, die Eis schleckten und Auslagen anschauten, bis er an die Quergasse kam, in der sein Hotel lag. Allerdings ignorierte er die Gasse. Er ging einenZickzackkurs und näherte sich dem Eingang von der Gegenseite.
    Die Hotelpension La Lupa war eine Absteige. Der Hotelier ein dicker Glatzkopf, der über einem gerippten Unterhemd ein zu enges Sakko trug. Als Lunau ihm neben dem Geld für zwei Nächte weitere 50 Euro bar auf den Tresen gelegt und gesagt hatte, er liebe es, eine neue Stadt inkognito zu erkunden, hatte der Mann gelächelt und erwidert, auf solche Gäste sei sein Haus spezialisiert. Zumindest hatte Lunau sich das aus dem Dialekt seines Gegenübers zusammengereimt.
50
    Lunau saß in seinem schäbigen Zimmer, hatte den USB-Stick für  die drahtlose Internetverbindung aktiviert und googelte Baiocchis Bauunternehmen. Eine seriöse Website mit vielen Untermenüs und beeindruckenden Aufnahmen von Serpentinenstraßen, Brücken, Staudämmen, vor allem in Norditalien, aber auch in skandinavischen Ländern und in Deutschland. Lunau fand auf Facebook Baiocchis private Handynummer und rief sie an. Baiocchi ging sofort ran, obwohl es fast elf war. Er war gut gelaunt und ärgerte sich nicht einmal, als Lunau unverblümt nach dem Zwist mit Vito Di Natale fragte. Baiocchi war bestürzt über Di Natales Tod. Aber der Streit sei aus der Welt geräumt, da man dem Prozess mit einem Vergleich zuvorgekommen sei. Baiocchis Firma habe eine moderate Summe gezahlt, keine besondere Belastung, steuerlich eher ein Vorteil, da mehrere lukrative Bauprojekte in Schweden vor dem Abschluss stünden. Er selbst, Baiocchi sei übrigens seit zehn Tagen in Göteborg. Lunau rief eine Wetterkarte von Europa auf und bat Baiocchi, aus dem Fenster zu schauen. Was er da sehe? Blitze und Regen, der gegen dieScheibe schlage, antwortete Baiocchi. Lunau hörte im Hintergrund das Donnergrollen. Das Alibi musste Lunau noch nachprüfen, aber er strich Baiocchi erst einmal von der Verdächtigenliste. Wieder ein Schlag ins Wasser.
    Aus der Gasse drang der Lärm von Kneipengästen, die das Rauchverbot auf die Straße getrieben hatte, in einem Nebenzimmer ging eine Gewerbliche ihrem Gewerbe nach. Zu hören war allerdings nur ihr Kunde.
    Lunaus Moral war im Keller. Das mochte am Hunger liegen. Er trank aus der Wasserflasche und riss sich ein Stück von der Pizza ab, die er mit aufs Zimmer genommen hatte. Aber auch während sich die Fäden des heißen Mozzarella um seine Zunge wickelten und sein Stoffwechsel das Fett und die Kohlenhydrate aufsaugte, besserte seine Laune sich nicht. Er hatte keine konkrete Spur gefunden.
    Bei seiner Arbeit hatte er sich immer an bestimmte Prinzipien gehalten: Er manipulierte kein Material, so leicht das mit Hilfe der Digitaltechnik auch war, und er respektierte die Privatsphäre und das Gesetz. Viele

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